IV. Präsidium. Art. 11. 275
St. B. 561. Persönlich haben die Monarchen der Einzelstaaten alle Ehren-
rechte behalten, die ihnen auf Grund völkerrechtlicher Sonveränetät dem
Auslande gegenüber zustehen können; vgl. Laband 1 S. 96. Auch ist den
Einzelstaaten und ihren Souveränen nicht das Recht entzogen, Verträge zu
schließen und ihre Rechte dem Auslande gegenüber wahrzunehmen. Mit
Wirkung für das Reich kann aber nur der Kaiser tätig sein und nur er
kann Verträge schließen, die das Reich binden, mag auch seine Regierung
nach innen durch die Mitwirkung des Bundesrats und Reichstags beschränkt
sein. Die Vollmacht des Kaisers, ausschließlich das Reich im Verhältnis
zum Auslande zu vertreten, ist im Art. 11 Abs. 1 R.V. enthalten; vygl.
Laband 1 S. 209, II S. 125. Damit ist zugleich die auswärtige Politik,
und zwar sowohl die diplomatische wie die konsularische Vertretung auf
die unmittelbare Verwaltung des Reichs übertragen.
Der Gegenstand der durch Art. 11 dem Kaiser zugesprochenen völker-
rechtlichen Vertretung des Reichs ist nach einer vom Reichskanzler Fürst
Bülow als damaligen Staatssekretär des Auswärtigen Amts in der Reichs-
tagssitzung v. 12. Dez. 1898 St. B. 88 abgegebenen Erklärung der Schutz
aller Deutschen im Auslande. Dieser Formel wohnt allerdings eine ge-
wisse Elastizität inne. Es bleibt die Frage offen, welches Mindestmaß
von Interessen der Deutschen im Auslande noch ausreicht, um eine Inter-
vention des auswärtigen Amts zu rechtfertigen. Völkerrechtlich feststehende
Grundsätze gibt es nach dieser Richtung nicht. Auch ein für alle Male
geltende Verwaltungsregeln werden sich für die auswärtige Politik des Reichs
kaum aufstellen lassen. Es ist keine andere Garantie vorhanden als die
volle Verantwortung, die das Auswärtige Amt sowohl für das Zuviel wie
für das Zuwenig in dieser Beziehung trägt. Das Einschreiten des Reichs
gegenüber Venezuela gab im Jahre 1908 dem Reichstage Veranlassung die
Frage zu erörtern, ob und inwieweit eine Einmischung des Reichs zugunsten
privatrechtlicher Ansprüche Reichsangehöriger von lediglich finanzieller Be-
deutung gerechtfertigt sei. Der Reichskanzler Fürst Bülow erklärte bei dieser
Gelegenheit in der Reichstagsfitzung v. 19. März 1903 St. B. 8719:
„Bei derartigen Fällen handelt es sich eben nicht allein um den
gerade schwebenden Fall, sondern auch um eine in die Zukunft reichende
Warnung .. Diiese Regel wird ihre Geltung behalten müssen, so-
lange es Regierungen gibt, welche die kommerzielle bona fides hinter
andere, mehr egoistische Interessen zurücktreten lassen. Wenn wir solche
Angelegenheiten nur vom Geldstandpunkte aus behandeln wollten, so
hieße das soviel, als daß wir uns jede, auch die frivolste Rechtsver-
letzung gefallen lassen. Dazu brauchen wir in der Tat weder Schiffe
noch Kanonen. Ich möchte aber keinen Zweifel darüber lassen, daß es
sich bei diesem unserem Vorgehen nur um einen seltenen Ausnahme-
fall handelt. Ich denke nicht daran die Ansicht zu vertreten, daß wir
für jedes gewagte, für jedes aleatorische Geschäft, das irgendwo in der
Welt ein Deutscher unternimmt, den Exekutor zu spielen hätten. Es
wird immer auf die besonderen Umstände ankommen.“
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts Frhr. v. Richthofen fixierte
bei dieser Gelegenheit die Aufgabe des Auswärtigen Amts ebenso wie im
Jahre 1898 Fürst Bülow als damaliger Staatssekretär. Frhr. v. Richthofen
erklärte in der Reichstagsfitzung v. 20. März 1903 St. B. 8767.
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