Metadata: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

276 IV. Präsidium. Art. 11. 
„Das Auswärtige Amt hat nach seiner Bestimmung die Interessen 
des Reichs und der Reichsangehörigen im Auslande und in ihren Be- 
ziehungen zum Auslande zu schützen und zu unterstützen und anderer- 
seits völkerrechtlich oder vertragsmäßig oder sonst begründeten Interessen 
des Auslandes im Inlande zur Geltung zu verhelfen.“ 
Diese allgemeine Begriffsbestimmung hat der Staatssekretär in der- 
selben Sitzung mitbezug auf die zur Erörterung stehende Frage der 
Venezolanischen Intervention näher erläutert St. B. 8762B. 
Man kann aus seinen Ausführungen entnehmen, daß der Fall einer 
völkerrechtlichen Vertretung des Reichs durch den Kaiser auf Grund des 
Art. 11 R.V., d. h. der Fall einer Intervention des Auswärtigen Amts ge- 
geben ist, wenn die nationale Ehre engagiert ist — und unter dieser Vor- 
aussetzung kommt es auf die Art, den Umfang und den Träger der ver- 
letzten Interessen nicht an — oder aber wenn die verletzten Interessen zwar nur 
wirtschaftliche Bedeutung haben, aber so weitgreifend und nach der finanziellen 
Seite so schwerwiegend find, daß auch unter rein praktischen Erwägungen 
die aufgewendete Mühe und nötigenfalls der Aufwand an Gut und Blut, 
der tatsächlich für die Intervention verausgabt wird oder mit dessen Veraus- 
gabung wenigstens beim Beginn der Intervention gerechnet werden muß, nicht 
außer Verhältnis zu der wirtschaftlichen Bedeutung der Interessen steht, 
um die gekämpft wird. 
Zur Durchführung der völkerrechtlichen Vertretung hat der Kaiser die 
Befugnis, alle diplomatischen Mittel und nach deren Erschöpfung alle Mittel 
der Gewalt anzuwenden. Nur für die Kriegserklärung besteht die im 
Art. 11 Abs. 2 bestimmte Beschränkung durch den Bundesrat. In den 
Rahmen der völkerrechtlichen Vertretung fällt, wenn dies zum Schutz be- 
drohter Interessen der Reichsangehörigen erforderlich wird, auch die An- 
wendung von Repressalien und Retorsionsmaßregeln; ebenso v. Rönne I. 2 
S. 304. v. Seydel S. 166 wendet hiergegen ein, daß die Reichsver- 
fassung das Recht der Repressalien und der Retorsion nicht erwähne. Aller- 
dings fehlt es an einer ausdrücklichen Bestimmung hierüber, aber das Recht 
ist in der durch Art. 11 dem Kaiser zugesprochenen Machtvollkommenheit, 
das Reich völkerrechtlich zu vertreten, enthalten. Unbestritten liegt darin 
die Befugnis, die Rechte der Reichsangehörigen dem Auslande gegenüber 
wahrzunehmen, und nur aus der Wahrung dieser Rechte wird sich die Not- 
wendigkeit zu Repressalien ergeben. v. Seydel hat darin Recht, daß in dem 
Worte „Repressalien“ bloß der Hinweis auf den Zweck von Maßregeln 
liegt, die des verschiedensten Inhalts sein können, aber es bedarf der Fest- 
stellung, daß der Kaiser auf Grund des Art. 11 berechtigt ist, Maßregeln 
des verschiedensten Inhalts zu treffen, wenn sie dem Zweck der Repressalie 
dienen, also z. B. die Ausführung von Staatsverträgen auf Grund der 
Klausel rebus sic stantibus einzuschränken. Diese Befugnis ist für den 
Kaiser notwendig, weil in der Stufenleiter von der diplomatischen Ver- 
mittelung bis zum Kriege die Repressalien ein unentbehrliches Mittelglied 
bilden. Werden z. B. Handelsverträge, die allerdings nur unter Mitwirkung 
des Reichstags geschlossen werden konnten, vom Auslande zum Nachteil 
der Reichsangehörigen in einer Weise ausgeführt, die dem Geist der Ver- 
träge nach eine Umgehung darstellt, wenn sie vielleicht auch noch ihrem 
Wortlaut entspricht, so kann unter Umständen nach Erschöpfung anderer
	        
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