IV. Präsidium. Art. 11. 277
Mittel und wenn eine schiedsgerichtliche Erledigung nicht zum Ziele führt,
nichts mehr übrig bleiben, als daß auch von seiten Deutschlands die Aus-
führung der Verträge eingeschränkt wird. Eine solche Maßregel an die
Zustimmung des Reichstages binden, würde bedeuten, daß die Aktion mit
einer Schwerfälligkeit und Offentlichkeit umgeben wird, die nicht im Interesse
der Sache liegen kann. Natürlich darf durch besondere Bestimmungen der
Reichsgesetzgebung die Anwendung von Repressalien auch anderen Organen
des Reichs, z. B. dem Bundesrat übertragen werden. Dann handelt es
sich um eine Ausnahme von der durch die Reichsverfassung gegebenen Regel.
Den Ausführungen v. Seydels ist darin beizustimmen, daß nicht durch
Retorsionsmaßregeln in die den Einzelstaaten im Verkehr mit dem Aus-
lande gebliebene Zuständigkeit eingegriffen werden kann. Die Befugnisse
des Kaisers beschränken sich also auf die Fälle, in denen das Reich über-
haupt zuständig ist.
Die Ausweisung von Ausländern gehört nicht in das Gebiet der völker-
rechtlichen Vertretung des Reichs. Denn die Ausweisung ist ein Ausfluß
der den Einzelstaaten verbliebenen Gebietshoheit, der Befugnis Herr im
eigenen Hause zu sein und dieses Haus allen Fremden zu verbieten, d. h.
alle Landfremden aus dem eigenen Lande auszuweisen. Die Ausweisung
bezieht sich deshalb, abgesehen von den durch das Strafgesetzbuch (88 39
Ziff. 2, 362 Abs. 3) geregelten Fällen, nicht auf das Gebiet des ganzen
Reichs, sondern nur auf das Gebiet desjenigen Einzelstaats, von dessen
Behörden sie ausgesprochen wird. Natürlich können als Fremde im Sinne
dieser Ausweisungsbefugnis mit Rückficht auf Art. 3 R.V. die Angehörigen
anderer Bundesstaaten nicht angesehen werden. Laband DiJur.Zeit. 1906
S. 618 f. hat ausgeführt, daß eine Massenausweisung von Fremden, die von
einem Einzelstaat ausgeht, stets die Reichskompetenz berührt, weil fie Repres.
salien hervorrufen könne und weil deshalb stets die auswärtige Politik des
Reichs beteiligt sei. In solcher Allgemeinheit ausgesprochen geht dies zu
weit. Richtig ist nur, daß es möglich und denkbar ist, daß im einzelnen
Falle ein Einzelstaat in dem Kreise, für den er dem Ausland gegenüber
selbständig geblieben ist, z. B. in Angelegenheiten der Ausweisung von nicht-
reichsangehörigen Personen derartig vorgehen kann, daß daraus Verwicklungen
mit dem Auslande zu besorgen sind. In diesem Falle tritt allerdings das
Recht des Kaisers, das Reich völkerrechtlich zu vertreten und die Rechte der
Reichsangehörigen dem Auslande gegenüber wahrzunehmen, in Kraft und
äußert sich dahin, daß Verstimmungen des Auslandes, die zu Repressalien
den Inländern gegenüber Veranlassung geben können, entgegengewirkt wird.
Eine solche Divergenz zwischen der auswärtigen Politik des Reichs und der
Einzelstaaten ist nur bezüglich der außerpreußischen Bundesstaaten denkbar,
weil für die Leitung der Politik des Reichs und Preußens mindestens in
Ansehung des Reichskanzlers und Ministerpräsidenten regelmäßig Personen-
einheit besteht; vgl. Art. 4 Ziff. 19 S. 119 ff.
In das Gebiet der völkerrechtlichen Vertretung fällt auch das Recht
des Kaisers, dem Auslande gegenüber die bestehenden Verträge auszulegen
oder mit dem Auslande eine bestimmte Auslegung zu vereinbaren. Dabei
ist zu unterscheiden zwischen denjenigen Verträgen, die nur Rechte und
Pflichten der Regierungen feststellen, und denjenigen Verträgen, die in die
rechtlichen Beziehungen der Untertanen eingreifen. Bezüglich ersterer Ver-