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im Sinne des Eingangs der Bundesverfassung angesehen werden
muß.“ Diesen Standpunkt haben die Verbündeten Regierungen bei den
bis in die neuere Zeit wiederholten Verhandlungen über die mecklenburgische
Verfassungsfrage festgehalten. Die Kompetenz des Reichs bezieht sich danach
nur auf den Schutz des geltenden Verfassungsrechts, nicht auf die Refor-
mierung der Verfassung der Einzelstaaten. Damit steht im Einklang, daß
vom Bundesrat die Zuständigkeit des Reichs stets abgelehnt worden ist,
wenn das Reich für die Durchführung von Reformen auf dem Gebiete des
inneren Verfassungsrechts der Einzelstaaten, insbesondere für die Veränderung
der konstitutionellen Grundlagen des Staatslebens in Anspruch genommen
wurde. Auch wenn derartige Reformen vom konstitutionellen Standpunkt
aus als erwünscht von den Verbündeten Regierungen in Übereinstimmung
mit dem Reichstag anerkannt werden, könnte höchstens eine außerhalb
der Rechtssätze der Verfassung liegende diplomatische Vermittelung des
Reichskanzlers Platz greifen. Eine den Einzelstaat verpflichtende Stellung-
nahme der Reichsorgane ist für die Durchführung von Reformen ausge-
schlossen, weil sich die Reichskompetenz auf keine pofitive Bestimmung
stützen läßt, weder auf Art. 4 R.V., noch handelt es sich dabei um den
„Schutz des Bundesgebietes“ oder um den Schutz „des innerhalb des
Bundesgebiets gültigen Rechts.“ Aus der allgemeinen Klausel „Wohlfahrt
des deutschen Volkes“ aber kann irgend ein pofitiver Schluß für die
Kompetenz des Reichs nicht gezogen werden (val. III 4c). Man ging in
Sachen der Mecklenburgischen Verfassungsfrage von der richtigen staats-
rechtlichen Erkenntnis aus, als in den Jahren 1871, 1878 und 1874, um
die fehlende Reichskompetenz verfassungsmäßig zu begründen, im Reichstage
der Antrag gestellt und angenommen wurde, dem Art. 3 einen Zusatz des
Inhalts zu geben: „In jedem Bundesstaat muß eine aus Wahlen der Be-
völkerung hervorgegangene Vertretung bestehen, deren Zustimmung zu jedem
Landesgesetz und zur Feststellung des Staatshaushaltes erforderlich ist.“
Der Bundesrat hat dieser Resolution keine Folge gegeben, und infolgedessen
fehlte und fehlt die Kompetenz des Reichs zu Eingriffen in die einzelstaat-
lichen Verfassungen überhaupt und insbesondere in dem Sinne, wie sie für
die Mecklenburgische Frage in Anspruch genommen wurde — pgl. ins-
besondere die Reichstagsverhandlung v. 5. Febr. 1895 St.B. 681 ff., nament-
lich die Erklärung des mecklenburgischen Vertreters v. Oertzen sowie die
Reichstagsverhandlung v. 24. Jan. 1905, insbesondere die Ausführungen
des Abg. Büsing St. B. 3996 und des Staatssekretärs des Innern, Graf
v. Posadowsky-Wehner St.B. 4000 f. Dem von dem letzteren vertretenen
Standpunkt ist darin beizutreten, daß die Kompetenz des Reichs höchstens in
dem Ausnahmefall anerkannt werden könnte, wenn die Verfassungszustände in
einem Einzelstaat so ungeordnet wären, daß der Staat nicht mehr seinen Ver-
pflichtungen gegenüber dem Reich nachzukommen imstande wäre. Natürlich ist
die Kompetenz des Reichs auch begründet, wenn die Voraussetzungen des Art. 76
Abs. 2 R.V. gegeben find, d. h. wenn ein Verfassungsstreit besteht. Dies
kann aber nur dann der Fall sein, wenn Streit um die Auslegung des
geltenden Rechts ist, nicht wenn es sich um legislatorische Reformen des
geltenden Rechts handelt. Übrigens ist die mecklenburgische Verfassungsfrage
auch ohne förmliche Beschlußfassung der Reichsorgane neuerdings dadurch
in Fluß gekommen, daß die Regierung der Großherzogtümer selbst die