Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

22 Eingang. 
Initiative zu einer Reform ergriffen hat, die dazu bestimmt ist, zwischen 
den vorhandenen politischen Gegensätzen eine mittlere Linie einzuschlagen. 
Eine weitere, der neueren Zeit angehörende Bestätigung für die hier 
vertretene Ansicht kann aus der Haltung des Bundesrats in Angelegenheiten 
der Ansprüche des Hauses Cumberland auf die Thronfolge für Braunschweig 
entnommen werden. Der braunschweigische Regentschaftsrat — im Ein- 
verständnis mit der Volksvertretung Braunschweigs — hatte auf Grund der 
Erwägung, daß das Herzogtum als Glied des Deutschen Reichs die aus 
dieser Zugehörtgkeit zum Reich erwachsenen Pflichten dem Deutschen Reich 
selbst und den übrigen Bundesstaaten gegenüber zu erfüllen habe, in der 
Thronfolgefrage den Bundesrat angerufen, damit sein Beschluß „dem Staate 
Braunschweig in Gestaltung der Regierungsverhältnisse, soweit dabei die aus 
den Grundprinzipien der Bündnisverträge und der Reichsverfassung ab- 
zuleitenden Interessen des Reichs und des Bundesstaats Preußen in Betracht 
kommen, zur Richtschnur diene“. Der Bundesrat, von dem schon unter 
dem 2. Juli 1885 Stellung zu der Thronfolgefrage genommen worden 
war, hat darauf am 28. Febr. 1907 beschlossen, die Überzeugung der Ver- 
bündeten Regierungen dahin auszusprechen: Solange der Herzog von 
Cumberland oder ein Mitglied seines Hauses Ansprüche auf Gebietsteile 
des Bundesstaats Preußen erhebe, sich also zu dem Bundesstaat Preußen 
in einem Verhältnis befinde, das mit dem für die Bundesmitglieder reichs- 
verfassungsmäßig gewährleisteten Frieden im Widerspruch stehe, sei die 
Regierung irgend eines Mitgliedes des Herzoglichen Hauses Braunschweig- 
Lüneburg in Braunschweig mit den Grundprinzipien der Bündnisverträge 
und der Reichsverfassung nicht vereinbar, selbst wenn dieses Mitglied für 
sich und seine Deszendenz allen Ansprüchen auf das frühere Königreich 
Hannover entsage. Die Annahme der Zuständigkeit des Bundesrats in 
dieser Frage und seine Berufung auf die reichsverfassungsmäßige Gewähr- 
leistung der Besitzergreifung Hannovers durch Preußen kann nicht anders auf- 
gefaßt werden, als daß der Bundesrat im Eingang der Reichsverfassung eine 
Garantie erblickt für die Rechtsgültigkeit des staats= und verfassungsrecht- 
lichen Zustandes, mit dem Preußen in den Norddeutschen Bund, bez. in 
das Deutsche Reich eingetreten ist. Dieser staats= und verfassungsrechtliche 
Zustand begreift in der Tat die Einverleibung des i. J. 1866 von Preußen 
gewonnenen Landzuwachses in sich. Eine andere Bestimmung als der 
Eingang, auf die der Bundesrat seine materielle Kompetenz zur Regelung 
der Frage stützen könnte, kommt kaum in Betracht, insbesondere nicht 
Art. 76; denn daß der fragliche Thronfolgestreit kein Verfassungsstreit ist, 
wird keiner weiteren Ausführung bedürfen und ein Streit „zwischen zwei 
Bundesstaaten“ könnte er nur unter besonderen Voraussetzungen sein — 
vgl. Art. 76 IV. Die Braunschweigische Regierung hatte von vornherein 
die Zuständigkeit des Bundesrats anerkannt. Ihr an den Bundesrat 
gerichteter Antrag enthielt die Frage, ob unter gewissen Voraussetzungen 
die Thronfolge des Kronprätendenten „mit den Grundprinzipien der Bündnis- 
verträge und der Reichsverfassung vereinbar sein würde“ — dgl. die Er- 
klärung des Braunschweigischen Bundesratsbevollmächtigten Boden in der 
Reichstagsfitzung v. 13. Mai 1907 St. B. 1627. Hieraus sowie aus dem 
mit dieser Fassung im Einklang stehenden Bundesratsbeschlusse v. 28. Febr. 
1907 und noch bestimmter aus der Erklärung, die zu diesem Beschlusse
	        
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