IV. Präsidium. Art. 15. 315
Der Reichskanzler kann sich durch jedes andere Mitglied des Bundes-
rates vermöge schriftlicher Substitution vertreten lassen.
A. Der Reichskanzler als Vorsitzender im Bundesrat
und Leiter der Geschäfte.
1. Die Doppelstellung des Reichskanzlers im Bundesrat als Reichskanzler und als
preußischer Bundesratsbevollmächtigter.
2. Die Ernennung des Reichskanzlers durch den Kaiser.
3. Der Vorsitz im Bundesrat.
4. Die Leitung der Geschäfte.
B. Die Stellvertretung des Reichskanzlers.
Die Einwirkung des Stellvertretungsgesetzes auf Art. 15.
Das Vorrecht Bayerns auf die Stellvertretung.
NS —
A. Der Reichskanzler als Vorsitzender im LHundesrat
und Teiter der Geschäfte.
1. Die Doppelstellung des Reichskanzlers im Bundesrat als
Reichskanzler und als preußischer Bundesratsbevollmächtigter.
Der Wirkungskreis des Reichskanzlers ist im Art. 15 nicht erschöpfend
bezeichnet. Vielmehr wird Art. 15 durch Art. 17 ergänzt, und ohne vor-
läufig die Frage zu beantworten, ob Art. 15 sich nur auf die Tätigkeit
bezieht, die der Reichskanzler im Bundesrat ausübt, kann jedesfalls soviel
festgestellt werden, daß wenn der Reichskanzler auch bisher tatsächlich stets
preußischer Bundesratsbevollmächtigter gewesen ist, er in seiner Eigenschaft
als Reichskanzler im Bundesrat Interessen und Geschäfte wahrzunehmen
hat, die von denen des Bevollmächtigten eines Einzelstaats spezifisch ver-
schieden find. Die Reichsverfassung setzt — man muß sagen: ohne Not
und ohne inneren Grund — voraus, daß der Reichskanzler zu den Bevoll-
mächtigten des Bundesrats gehört, und Fürst Bismarck hat überhaupt be-
stritten, daß dies verfassungsmäßig notwendig sei: offenbar dachte er dabei
weniger an den Wortlaut des Art. 15 als an den allgemeinen Charakter
seiner Stellung, der nicht die Verbindung mit einem Bundesstaate, sondern
die paritätische Wahrnehmung der Interessen des Reichs für und nötigen-
falls auch gegen die Bundesstaaten wesentlich ist; vgl. die bei Art. 9 A. 1
S. 259 angeführte Erklärung des Fürsten Bismarck in der Reichstagssitzung
v. 24. Jan. 1882 St.B. 893 und die unten angeführte Erklärung in der
Reichstagssitzung v. 13. März 1877 St. B. 127 sowie die Ausführungen in
Fürst Bismarcks „Gedanken und Erinnerungen“ Bd. II Kap. 33. Daß der
Reichskanzler nach der Verfassung nicht nur Vorsitzender, sondern auch Mit-
glied des Bundesrats sein muß, wird in der staatsrechtlichen Literatur fast
allgemein geschlossen aus den im Abs. 2 des Art. 15 enthaltenen Worten
„Durch jedes andere Mitglied des Bundesrats“; so Laband 1 S. 254f.
(mit Angabe der weiteren Literatur), v. Seydel S. 168, v. Rönne 1 S. 207,
Arndt S. 97. Hiergegen lassen sich stichhaltige Gründe nicht anführen.
Wenn die Reichsverfassung bestimmt, daß der Reichskanzler sich bei den
ihm durch Art. 15 Abs. 1 übertragenen Geschäften durch jedes „andere“
Mitglied des Bundesrats vertreten lassen kann, so ist in diesem Wortlaut