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wo von einem Inbegriff der staatlichen und hoheitlichen Attribute die
Rede ist, welche auf die Gesamtheit übertragen worden sind, dem Aus-
druck Bund dort seine Anwendung zu belassen, wo mehr die Rechte der
einzelnen Staaten, der Bundesglieder in den Vordergrund treten."
V. Das Deutsche Reich wird „nachstehende Verfassung“ haben.
Unter „Verfassung“ im staatsrechtlichen Sinne des Wortes versteht
man die gesetzliche Regelung der Herrschaft über den Staat; die Verfassung,
bezweckt in großen Zügen festzustellen, welchen Anteil die in einem modernen
Staatswesen vorhandenen Machtfaktoren — der Monarch, das Volk, das
regelmäßig durch ein Parlament vertreten wird, der Behördenorganismus —
an der Leitung des Staatswesens haben und welche Befugnisse jedem ein-
zelnen von ihnen zustehen sollen. Der Verfassung ist außerdem charakte-
ristisch, daß sie eine der gewöhnlichen Gesetzgebung übergeordnete Rechts-
quelle ist, da sie — vorbehaltlich einer Anderung auf dem durch sie selbst
vorgeschriebenen Wege — für die Gesetzgebung eine Schranke bildet und in
der Regel auch die Voraussetzungen und Formen der anderen Rechtsquellen
(Gesetze, Verordnungen usw.) bestimmt.
Die Verfassung der europäischen Staaten hat sich größtenteils in der
Weise entwickelt, daß die ursprünglich absoluten, d. h. in ihrer Macht-
vollkommenheit unbeschränkten Monarchen, sei es freiwillig, sei es im Hin-
blick auf mehr oder weniger starke Volksbewegungen in einem bestimmten
Zeitpunkt oder in langer, allmählicher Entwicklung sich veranlaßt gesehen
haben, dem Volke Zugeständnisse zu machen im Sinne einer Beteiligung des
Volkes an der Herrschergewalt, insbesondere an der Gesetzgebung. Für die
Reichsverfassung gilt dies nicht in gleicher Weise. Das neue Reich ist von
Hause aus als konstitutioneller Staat aufgetreten. Zu einer Zeit entstanden,
in der die konstitutionelle Idee in Deutschland bereits einen vollen Sieg
errungen hatte, stand die Reichsverfassung zu einer Beteiligung der Volks-
vertretung nicht anders als zu einer selbstverständlichen Voraussetzung, und
nur gewisse Modalitäten wie die Organisation des Parlaments, das Wahl-
recht, Diäten für die Abgeordneten, die Stellung der Regierungsorgane dem
Parlament gegenüber bildeten in Ansehung des konstitutionellen Charakters
der Verfassung die noch zu lösenden Fragen. Die Entstehungsgeschichte des
neuen Reichs ist nicht in dem Kampf um die Konstitution, sondern in dem
Kampf um die Machtverteilung zwischen der Gesamtheit, dem Reich, einer-
seits und den Einzelstaaten andererseits und ferner in der Abgrenzung des
Anteils der Einzelstaaten an der Herrschaft über das Reich enthalten; in
dem Streit um diese Fragen lag das retardierende Element begründet, das
lange Zeit die Einheitsidee nicht hatte zur Entwicklung kommen lassen,
und in der Entscheidung über diese Fragen liegt die Lösung, die zu geben
der vornehmste Zweck der Reichsverfassung war.
Die Reichsverfassung entspricht deshalb nach verschiedenen Richtungen
nicht dem Typus einer Landesverfassung. Sie bietet teils mehr teils
weniger. In letzter Hinsicht, d. h. insofern fie den Eindruck der Lücken-
haftigkeit macht, ist ihr charakteristisch, daß sie sehr wenig von den sogen.
Grundrechten der Staatsbürger enthält — nur Art. 3 (gemeinsames In-
digenat) und Art. 77 (Schutz gegen Rechtsverweigerung) fallen in dieses