IV. Präsidium. Art. 17. 341
„Das einzige Bedürfnis dafür, daß eine Verantwortlichkeit herbeigeführt
werde, besteht lediglich darin, daß die Exekutive sorgfältig getrennt sei
von der gesetzgebenden Gewalt. Nur im absoluten Staat, wo Gesetz-
gebung und vollziehende Gewalt durcheinander laufen, ist eine Verant-
wortlichkeit nicht möglich; denn der innerste Kern der gesetzgebenden Gewalt
beruht auf der Unverantwortlichkeit.“
Fürst Bismarck hat sich zu dieser Frage in der Reichstagssitzung v.
19. April 1869 St. B. 403 dahin geäußert:
„Die Mitwirkung des Bundeskanzlers in der Legislative ist gleich Null.
In der Legislative wirke ich nur als preußischer Bevollmächtigter zum
Bundesrat mit und führe dort die preußischen Stimmen. Das könnte
aber ebensogut in der Hand eines anderen liegen als in der Hand des
Bundeskanzlers; es wäre das vielleicht zweckmäßiger, um die Stellung
des Bundeskanzlers reiner abzugrenzen. Diese preußischen Stimmen
werden unter Verantwortung des preußischen Ministeriums abgegeben.
Die Instruktion des preußischen Bevollmächtigten wird beschlossen in den
preußischen Ministerien, ebenso wie die des sächsischen Bevollmächtigten
im sächfischen Ministerium, letztere geht aus von S. M. dem König von
Sachsen und die meinige in letzter Instanz nicht von dem Präsidium des
Bundes, sondern von S. M. dem König von Preußen.“
Hier weist Fürst Bismarck eine Verantwortung des Reichskanzlers schon
deshalb zurück, weil der Reichskanzler als solcher nicht einmal am Votum
des Bundesrats beteiligt und insbesondere nicht notwendig mit der Führung
der preußischen Stimmen beauftragt sein muß (vol. Art. 15 Al S. 315 ff.).
Soweit durch die Mitwirkung des Bundesrats eine Verantwortung für die
Gesetzgebung begründet wird, hat sie bezüglich Preußens das preußische
Staatsministerium zu tragen. Es kann sich überall dabei nur um die mo-
ralische und politische Verantwortung handeln; die juristische Verantwortung
wird in Angelegenheiten der Reichsgesetzgebung schon dadurch ausgeschlossen,
daß im Bundesrat und Reichstag stets Kollegial= und Mehrheitsbeschlüsse
zugrunde liegen, bei denen der einzelne, der überstimmt sein kann, nie
verantwortlich ist. Nach dieser Richtung ist folgende Außerung des Fürsten
Bismarck bemerkenswert, die sich zwar nur auf die durch Stimmenmehrheit
beschließenden Staatsministerien und den Reichstag bezog, aber analog für
jede andere durch Majorität beschließende Körperschaft, also auch für den
Bundesrat gilt; Fürst Bismarck erklärte in der Reichstagssitzung v. 1. Dez.
1874 St. B. 421:
„Wer hat in einem Kollegium, welches aus acht oder zehn selbständigen
Ministern besteht, in dem keiner ohne den Willen des anderen eine irgend
erhebliche Bewegung machen kann, in dem keine Maßregel anders als
durch Stimmenmehrheit beschlossen wird — wer hat die Verantwortung zu
tragen: Wer trägt die Verantwortung der Beschlüsse einer parlamen-
tarischen Korporation wie der Reichstag?! — Offenbar kann fie bei keinem
einzelnen gesucht werden. Sie können die Verantwortlichkeit nur bei einem
Individuum suchen, niemals m. E. bei einem Kollegium, wo jeder be-
rechtigt ist, sich damit zu entschuldigen, er hätte wohl gewollt, aber die
anderen nicht, und wo keiner weiß, wer der andere und wer der eine ist.“
Eine juristische Verantwortung für den Ausfall der Gesetzgebung besteht
nicht, wohl aber eine politische. Sie entspricht dem tatsächlichen Einfluß,