Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

IV. Präsidium. Art. 17. 361 
grunde liegenden politischen Erwägungen, sondern nur dafür verantwortlich, 
daß diese Maßregeln sich auf gesetzlichem Boden und innerhalb der durch 
den Etat gezogenen Grenzen bewegen. 
Der Reichstag kann aus der Verantwortlichkeit der Reichsverwaltung 
äußersten Falls die Konsequenz ziehen, die für bestimmte Verwaltungs- 
maßregeln in den Etat eingestellten Ausgaben, sei es bei der erstmaligen, 
sei es bei der wiederkehrenden Etatsfeststellung, abzulehnen. Er hat dazu 
auf Grund des Art. 69 R.V. die tatsächliche Macht, wenngleich in Ansehung 
derjenigen Ausgabepofitionen, die auf gesetzlich eingeführten Einrichtungen 
beruhen, die Geltendmachung dieses formalen Rechts eine materielle Ver- 
letzung des die betreffende Einrichtung stützenden Reichsgesetzes darstellen 
würde. Der Reichstag muß natürlich, wenn es sich bei solchen Etats- 
abstrichen um nichts anderes als um eine Machtfrage handelt, gewärtigen, 
daß die Regierung zur Auflösung schreitet. Theoretisch erstreckt sich die 
Machtbefugnis des Reichstags auf jede Position des Etats; es kann aber 
keinem Zweifel unterliegen, daß, falls von diesem formalen Recht ein über- 
triebener Gebrauch gemacht wird, die moralische Verantwortung dafür der 
Volksvertretung zur Last fällt; z. B. würde es nicht dem Grundgedanken 
entsprechen, auf dem Art. 11 und der XlI. Abschnitt der Reichsverfassung 
beruht, wenn in kritischen nationalen Fragen der Kaiser durch Etatsabstriche 
in der Dispofition über die Armee beeinträchtigt wäre. 
VI. Worin besteht die Verantwortung? 
a) Die moralische Berantwortung. 
Einer juristischen Regelung bedarf nur und ist allein zugänglich die 
juristische Verantwortung, welche bedeutet, daß der Verantwortliche mit 
Rechtsnachteilen, die auf civil= wie auf strafrechtlichem Gebiete liegen können, 
für die schädlichen Folgen seiner Handlungen einstehen muß. Der Unter- 
schied zwischen moralischer und juristischer Verantwortlichkeit entspricht dem 
von jeher gegebenen Unterschiede zwischen Moral und Recht. Es ist das 
stets erstrebte, aber nie voll erreichte Ziel des Rechts, sich ganz mit der 
herrschenden moralischen Anschauung zu decken, und bezüglich der Ver- 
antwortung ist es eine nicht abzuweisende Forderung der Moral, daß die 
Verantwortung eines Reichsbeamten sich so weit erstrecke wie seine tatsächliche 
Macht. Soweit also die juristische Verantwortlichkeit den tatsächlichen Ein- 
fluß des Reichskanzlers nicht erschöpft, greift die moralische Verantwortung 
allein, sonst neben der juristischen, ein, und es sind auch — in außer- 
ordentlichen Situationen — Fälle denkbar, in denen die juristische Ver- 
antwortung weiter reicht als die moralische, d. h. Fälle, in denen durch 
ungesetzliche Handlungen des Reichskanzlers dessen formale juristische Ver- 
antwortung begründet wird, während es moralisch seine Pflicht war, so zu 
handeln, wie er tatsächlich gehandelt hat. Die juristische Verantwortung 
des Reichskanzlers ist ausgeschlossen, soweit und solange er das geltende 
Recht anwendet. Er bleibt aber moralisch verantwortlich für den Einfluß, 
den er auf den Gang der Gesetzgebung ausübt, sowie für die ganze Richtung 
der Reichspolitik und für die Zweckmäßigkeit der einzelnen Verwaltungs- 
maßregeln, für die das Gesetz in der Regel eine gewisse Bewegungs- 
freiheit läßt.
	        
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