366 IV. Präsidium. Art. 17.
beruht. Die politische Verantwortung macht sich dagegen von außen geltend
und hat ihren Schwerpunkt in der öffentlichen Meinung. Daß sie sich
mit dem Begriff der moralischen Verantwortung deckt, ist wünschenswert,
ist das Ideal, das aber nicht immer erreicht wird, und besonders nicht in
Zeiten, wo aufgeregte Stimmungen in der Politik herrschen. Die politische
Verantwortlichkeit ist dann keineswegs wie die moralische ein idealer Begriff,
sondern eine reale Machtfrage. Die Verantwortung tritt ein, wenn die
Gegner des verantwortlichen Staatsmannes die Macht haben. Dabei ist
insbesondere an die Gegnerschaft der Volksvertretung zu denken. Auch diese
Seite ist im konst. Reichstag beleuchtet, und es find insbesondere aus der
Sitzung v. 26. März 1867 folgende Erklärungen anzuführen:
Abg. Gneist St. B. 372:
„Die politische Verantwortlichkeit der Minister ist eine reine Macht-
frage, ein Ausdruck des tatsächlichen Machtverhältnisses des einen oder
anderen parlamentarischen Körpers.“
Abg. Gumprecht St. B. 363:
„Die politische Verantwortlichkeit ist das Wesentliche; sie ist aller-
dings weniger eine Rechtsfrage als eine Machtfrage."
Abg. Weber St.B. 365:
„Nur die politische Verantwortung ist wesentlich. Die Möglichkeiten,
das Ministerium zu beseitigen, bestehen in der freien Diskussion, in dem
Recht des Parlaments, das Ministerium vorzufordern und von ihm Aus-
kunft zu verlangen, in dem Rechte der Interpellation, in dem Rechte sich
über Maßregeln des Ministeriums zu beschweren und Adressen an den
König zu erlassen. Wenn durch diese Freiheit des Parlaments, durch
die Diskussion usw. nicht erreicht wird, daß das Ministerium beseitigt
wird, wenn das nicht durch die freie Presse geschieht, durch abzu-
haltende Vereine, die in ihren Versammlungen die öffentliche Meinung
und den Reichstag stützen, wenn nicht der Geist der Nation, die Nation
selbst die Kraft hat, um ein Ministerium beiseite zu schieben, so wird
der Paragraph, daß das Ministerium verantwortlich sei, auch nicht
helfen."
In neuerer Zeit ist im Reichstage vielfach auf die Verweigerung des
Budgets als eines Mittels, die politische Verantwortung der Minister
geltend zu machen, hingewiesen worden. Dabei schwebte den Rednern das
parlamentarische System vor, dessen Kennzeichen darin besteht, daß die
Minister abtreten, sobald sie im Parlament mit ihren Anträgen unterliegen,
selbst wenn es sich um minderwichtige Vorlagen handelt, weil bei diesem
System das Parlament nicht eigentlich mehr für oder gegen die Sache,
sondern für oder gegen die Regierung stimmt und die Verweigerung des
Budgets stets in Aussicht steht, wenn das Ministerium aus dem Vor-
handensein einer gegnerischen Mehrheit des Parlaments nicht die Konsequenz
zieht, seine Entlassung zu nehmen. Dieses System besteht weder tatsächlich
noch rechtlich in Preußen und Deutschland: Es widerspricht der geschicht-
lichen Überlieferung, es ist noch niemals in Preußen oder Deutschland
praktisch ausgeübt worden und es widerspricht pofitiven Bestimmungen
der Verfassung, nämlich Art. 45 der preußischen Verf. Urk., wonach es der
König ist, der in Preußen die Minister ernennt und entläßt, und dem