IV. Präsidium. Art. 19. 391
sprechende Zustand herbeigeführt wird, und sollte die Regierung an dem
Konflikt unschuldig sein, z. B. wegen Widerstandes der Volksvertretung ihren
Pflichten gegen das Reich nicht genügen können, so würde die Exekution
auch nur gegen die Regierungsgewalt als solche gerichtet werden und auf
die Volksvertretung nur mittelbar wirken können. Die Exekution ist aus
den Einrichtungen des alten Deutschen Bundes übernommen. Dieser Bund
hatte zwar als reiner Staatenbund staatsrechtlich einen anderen Charakter
als das einen Bundesstaat darstellende neue Reich, aber die im Art. 32
der Wiener Schlußakte über die Exekution gegebene Bestimmung ist auch
auf die Exekution des Reichs anwendbar, weil ungeachtet der engeren Ver-
bindung, die zwischen den Einzelstaaten durch das Reich geschaffen ist, den
eigenen Untertanen gegenüber nach wie vor der Gründung des Reichs die
Regierungen der Einzelstaaten grundsätzlich die Staats= und Regierungsgewalt
repräsentieren; Art. 32 bestimmte:
„Da jede Bundesregierung die Obliegenheit hat, auf Vollziehung der
Bundesbeschlüsse zu halten, der Bundesversammlung aber eine unmittel-
bare Einwirkung auf die innere Verwaltung der Bundesstaaten nicht zu-
steht, so kann in der Regel nur gegen die Regierung selbst ein Exekutions-=
verfahren stattfinden."
Man darf annehmen, daß die unzweifelhaft auch jetzt noch bestehende
gleiche Rechtslage durch den Wortlaut der Reichsverfassung insofern zum
Ausdruck gebracht ist, als im Art. 19 nur von Bundesgliedern, also den
Regierungen der Einzelstaaten (vgl. Art. 6 R.#V.) gesprochen wird, die in
einem begrifflichen Gegensatz zu den einzelnen Untertanen stehen. Es ist
Sache der Regierungen der Einzelstaaten, wenn der Konflikt durch den
Widerstand ihrer Untertanen oder der Volksvertretung hervorgerufen wird,
alle gesetzlichen Mittel zu erschöpfen, um die widerstrebenden Elemente zu
überwinden; ebenso Laband 1 S. 75, v. Seydel S. 189, Arndt S. 110; an-
derer Ansicht v. Rönne 1 S. 70.
Auf Elsaß-Lothringen kann Art. 19 nicht bezogen werden, da dieses
Land kein „Bundesglied“, sondern eine Provinz des Reichs ist, und es
würde hier auch an einem Bedürfnis zur Anwendung des Art. 19 fehlen,
weil die Regierung von Elsaß-Lothringen der Reichsverwaltung unmittelbar
untergeben ist und deshalb ein Widerstand gegen Anordnungen des Reichs
im Verwaltungswege zu beseitigen wäre; vgl. Laband II S. 108.
Mit der Möglichkeit, daß Preußen seine verfassungsmäßigen Bundes-
pflichten nicht erfüllt, ist offenbar nicht gerechnet worden. Denn wäre es
der Fall, so müßte dem Kaiser die Exekution gegen den König von Preußen
obliegen und dies ist undenkbar; ebenso Zorn 1 S. 140, Arndt S. 110,
v. Seydel S. 190, v. Rönne 1 S. 71 A. 3. Nach dem Wortlaut des Art. 19
würde die Exekution gegen Preußen an sich nicht weniger möglich sein, als
gegen die anderen Bundesglieder, aber sie ist tatsächlich unausführbar. Dieses
Ergebnis deckt sich mit der schon unter 1 S. 390 hervorgehobenen politischen
Erfahrung, daß nach den bestehenden Reichseinrichtungen und den realen
Machtverhältnissen mit einer Divergenz der preußischen und der Reichspolitik
in grundlegenden Fragen nicht gerechnet zu werden braucht, und deshalb
ist es nicht als eine Lücke der Verfassung zu betrachten, wenn sie Kautelen
für den Fall, daß Preußen ein widerstrebendes Mitglied des Reichs werden
könnte, nicht vorfieht.