392 IV. Präsidium. Art. 19.
IV. Die Exekution ist vom Bundesrat zu beschließen.
Die Frage, ob dem Bundesrat auch die Entscheidung darüber zusteht,
daß überhaupt eine Verletzung der verfassungsmäßigen Bundespflichten vor-
liegt, ist in der Wissenschaft bestritten. v. Seydel verneinte es in der 1. Aufl.
seines Kommentars S. 137 mit der Begründung, daß es an einer aus-
drücklichen Vorschrift der Verfassung darüber fehle und daß diese Lücke ihrer
Natur noch kaum ausfüllbar sei, weil es nicht angehe, daß der Bundesrat
zugleich Partei und Richter sei; v. Seydel wies ferner darauf hin, daß den
analogen Bestimmungen der Wiener Schlußakte gegenüber Preußen im
Jahre 1866 das Recht für sich in Anspruch genommen habe, die Recht-
mäßigkeit der beschlossenen Exekution zu prüfen. Auch in der 2. Aufl. S. 189
nimmt v. Seydel noch an, daß die Frage, ob die Voraussetzungen für die
Exekution gegeben seien, nur auf dem Wege authentischer Gesetzesauslegung
erledigt werden könne. Den entgegengesetzten Standpunkt vertreten u. a.
Meyer S. 791 A. 19, Hänel Staatsrecht I S. 448, Arndt S. 110, v. Rönne!
S. 71, Schilling a. a. O. S. 78 f. Der letzteren Ansicht ist beizutreten. Es
ist nicht zuzugeben, daß Art. 19 die Frage offen läßt, und man braucht
auch nicht, wie v. Rönne will, Art. 7 R.V. zur Begründung der Kompetenz
des Bundesrats heranzuziehen. Art. 19 überträgt dem Bundesrat ausdrücklich
die Entscheidung darüber, ob die Exekution überhaupt stattzufinden hat.
In dieser Entscheidung kann, wie Laband 1 S. 245 mit Recht bemerkt, nichts
anderes als ein Akt der Administrativjustiz gefunden werden, und wenn der
Beschluß ein Ergebnis rechtsprechender Tätigkeit ist, so muß nach allgemeinen
Rechtsgrundsätzen und mangels einer ausschließenden Bestimmung des Art. 19
angenommen werden, daß der Bundesrat gleichzeitig über die Vorfragen
seines Rechtsspruches zu entscheiden hat, und dazu gehört im Bestreitungs-
falle die Frage, ob überhaupt verfassungsmäßige Bundespflichten verletzt
find. Das von Seydel angeführte Moment, daß dann der Bundesrat zu-
gleich Partei und Richter sei, trifft nicht mehr und nicht weniger zu, als
in allen Fällen, in denen eine Staatsbehörde über Staatsinteressen ent-
scheidet. Aus dem Vorgang von 1866 endlich kann für die Beantwortung
der Rechtsfrage nichts abgeleitet werden, denn die damalige Situation war
für Preußen wie für die anderen Staaten nichts als eine Machtfrage, die
nur mit dem Recht des Stärkeren gelöst werden konnte und nicht anders
gelöst worden ist.
Durch das Wort „können“ im 1. Satz des Art. 19 soll offenbar zum
Ausdruck gebracht werden, daß der Bundesrat das Mittel der Exekution
zwar anwenden darf, aber nicht anwenden muß, und es liegt hierin ein
Hinweis, daß es sich um eine ultima ratio handelt, die erst in Betracht
kommt, wenn alle anderen Mittel vergeblich gebraucht find. Diese anderen
Mittel liegen auf dem Gebiete der diplomatischen Vermittelung und haben
bisher vollkommen ausgereicht.
V. Die Ausführung der Exekution.
Welche Zwangsmittel bei der Exekution anzuwenden find, ist im
Art. 19 nicht bestimmt, doch gibt dafür die Verfassung des Norddeutschen
Bundes einen gewissen Anhalt. Dort lautete der 2. Satz des Art. 19: