Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

406 V. Reichstag. Art. 20. 
nicht annähernd so weit reicht. Heer und Flotte sind im eminenten Maße 
— wegen der allgemeinen Wehrpflicht und wegen des alle Klassen angehen- 
den Interesses an der Integrität des Landes äußeren Feinden gegenüber — 
eine Angelegenheit des ganzen Volks. Die indirekten Steuern, die vom 
Reich erhoben werden, find bei weitem nicht so nach dem Befitz abgestuft 
wie die direkten Steuern, da ein großer Teil der indirekten Steuern Gegen- 
stände des allgemeinen Konsums betrifft; bei der sozialen Gesetzgebung, die 
ebenfalls dem Reiche obliegt, beruht allerdings die Beteiligung des all- 
gemeinen Interesses, soweit es sich um die finanzielle Seite dieser Gesetz- 
gebung handelt, nicht auf derselben Grundlage, da die eine Schicht der 
Bevölkerung der empfangende, die andere der gebende Teil ist, aber an der 
Erhaltung des sozialen Friedens find alle Klassen gleich interessiert und 
jedesfalls würde diese Gesetzgebung ihren Zweck weniger gut erreichen, wenn 
sie ohne eigene Beteiligung der Arbeiterklassen ins Leben träte. Denn darin 
liegt ein Vorzug des allgemeinen Wahlrechts, den man ihm vorbehaltlos 
nachrühmen kann, daß es wenigstens die Möglichkeit gewährt, Männer aus 
der Werkstatt als berufene Vertreter der Arbeiterschaft in das Parlament 
zu senden, um die wirtschaftlichen Interessen der an Kopfzahl alle anderen 
Stände weit übertreffenden Arbeiterschaft zu vertreten. Wenn auch in dieser 
Beziehung der Erfolg hinter den Erwartungen zurückbleibt, so wirken dabei 
Momente mit, die mit dem allgemeinen Wahlrecht nicht notwendig im 
inneren Zusammenhange stehen. 
d) Die Gründe für die direkte Wahl. 
Zur Darlegung der Gründe, die maßgebend waren, um das indirekte 
System der preußischen Wahl mit dem direkten System zu vertauschen, 
hat Fürst Bismarck in der Reichstagssitzung v. 28. März 1867 St. B. 429 
an einem Zahlenbeispiel ausgeführt, daß in jeder Abstimmung eine Fehler- 
quelle steckt, weil die Minorität unberücksichtigt bleibt und daß die direkte 
Wahl insofern mehr Chancen für eine richtige Wiedergabe der Ansicht der 
Urwähler bietet, als eine Abstimmung, nämlich die der Urwähler für die 
Wahlmänner ausgeschieden wird. Die vom Fürsten Bismarck aufsgestellte 
Rechnung würde aber auch für die direkte Wahl zu dem Ergebnis führen, 
daß im schlimmsten Falle, d. h. wenn der Abgeordnete nur mit knapper 
Majorität gewählt ist und im Parlament sich auch nur wenig mehr als 
die Hälfte der Stimmen auf die betreffende Vorlage vereinigt hat — daß 
dann nur etwas mehr als ein Viertel der Wählerschaft von der Parlaments- 
mehrheit repräsentiert wird. Dabei kommen sogar nur diejenigen Personen 
in Betracht, die von dem Wahlrecht Gebrauch gemacht und gültige Stimmen 
abgegeben haben; selbst dieser Bruchteil kann sich bei der direkten Wahl 
unter Berücksichtigung der bei der einzelnen Wahl und bei der Abstimmung 
im Parlament unterlegenen Minoritäten auf ein Viertel reduzieren. Bei 
der indirekten Wahl kann diese Reduktion allerdings bis auf ein Achtel 
ausgedehnt werden, weil dort noch mit der Minorität der Wahlmänner zu 
rechnen ist. Aber so ungünstig liegt der Sachverhalt in der Regel nicht, 
weil bei den Wahlen es nicht immer dieselbe Partei ist, die in einer starken 
Minorität bleibt, und deshalb dieser Fehler, der mit jeder nach einzelnen 
Bezirken abgegrenzten Mehrheitsabstimmung untrennbar verbunden ist, 
zwischen den verschiedenen Wahlbezirken sich einigermaßen ausgleicht. Was
	        
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