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die Generalidee zu der Vorlage vom Reichstage aus und die Ausarbeitung
wird von den Verbündeten Regierungen besorgt — oder der Reichstag arbeitet
das Gesetz selbst aus, bez. bringt wenigstens die Absicht dies zu tun durch
seinen Initiativbeschluß zum Ausdruck. Dann entspricht es der Geschäfts-
ökonomie, an der alle in Betracht kommenden Faktoren ohne Rücksicht auf
die Verschiedenheit ihrer politischen Ziele interessiert find, daß die Ver-
bündeten Regierungen ihrerseits die Vorlage nicht ausarbeiten, sondern dem
Reichstag dieses Geschäft überlassen, da er es übernehmen will, und die
gleichzeitige Arbeit des Bundesrats auf demselben Gebiete seine Aktion
stören könnte; vgl. die Ausführungen des Staatssekretärs des Reichs-Justiz-
amts Nieberding in der Reichstagsfitzung v. 12. Febr. 1902 St.B. 4125 C.
Eine Ausnahme muß natürlich für die Fälle gelten, in denen die Ver-
bündeten Regierungen im Interesse des Reichs auf eine möglichst schleunige
Erledigung des Gesetzes zu dringen genötigt find. Meistens werden fie in
solchen Fällen die Vorlage selbst einbringen und es auf die Initiative des
Reichstags nicht ankommen lassen. Wenn aber der Reichstag gleichwohl
die Aktion begonnen hat, ohne sie mit dem erforderlichen Nachdruck fort-
zusetzen, so wird dem Bundesrat allerdings nichts anderes übrig bleiben,
als durch die eigene übernahme der Initiative einzugreifen.
Falls der Reichstag die Initiative ergreift und fortsetzt, pflegen die
Verbündeten Regierungen erst Stellung zu nehmen, wenn für den Initiativ-
antrag in 2. Lesung ein Mehrheitsbeschluß erzielt ist. Dies entspricht der
ständigen Praxis; vgl. die Erklärungen des Fürsten Bismarck in den Reichs-
tagssitzungen v. 21. März 1867 St. B. 316 u. v. 17. Mai 1873 St. B. 711
des Reichskanzlers Fürst Bülow in der Reichstagssitzung v. 5. Dez. 1900
St. B. 301, des Staatssekretärs des Reichsschatzamts Frhr. v. Stengel in
der Reichstagsfitzung v. 8. Mai 1906 St. B. 3013 C. Die Vertreter der
Verbündeten Regierungen geben in der Regel offizielle Erklärungen ab, in
denen sie den Initiativantrag als annnehmbar oder unannehmbar — mit oder
ohne Bedingungen — bezeichnen; die Erklärung kann natürlich auch aus-
weichend lauten. Diese Erklärung hat zwar noch keine formelle Rechts-
wirkung — so Laband II S. 26 A. 5 — aber die Verbündeten Regierungen
pflegen, wenn ihr Vertreter nicht nur für seine Person gesprochen hat, sich
als gebunden anzusehen. Natürlich ist dabei vorausgesetzt, daß der Bundes-
rat bereits in der Lage war, zu dem Antrage Stellung zu nehmen. Die
Gelegenheit hierzu wird ihm dadurch geboten, daß der Präfident des Reichs-
tags den Beschluß des Reichstags dem Reichskanzler mitteilt und daß dieser
den Vorschlag des Reichstags dem Bundesrat zur Beschlußfassung vorlegt.
Neben oder an Stelle der durch Vertreter mündlich erteilten Antwort des
Bundesrats ist ein schriftlicher Bescheid üblich. Er ist, wie die Form der
Stellungnahme des Bundesrats überhaupt, in der Verfassung nicht vor-
geschrieben, entspricht aber seit 1872 einer ständigen Praxis; vgl. die Verhand-
lungen des Reichstags v. 12. Juni 1872 St. B. 931 ff. und das Schreiben
des Reichskanzlers v. 14. März 1873, Anl. Bd. III Nr. 14 S. 60. Auf Grund
einer in diesem Schreiben gegebenen Zusage ist dem Reichstage eine über-
sicht über die Entscheidungen des Bundesrats auf die Resolutionen des
Reichstags bisher in jeder Session zugegangen, und der Reichstag hat dieser
Praxis durch nähere Bestimmungen über die geschäftsordnungsmäßige Be-
handlung der Mitteilungen Rechnung getragen (§ 34 G.O.). Es gehört