438 V. Reichstag. Art. 23.
schweben oder bereits rechtskräftig entschieden sind. Interpellationen auf
dem Gebiete der auswärtigen Politik sind nicht prinzipiell unzulässig. Die
Reichsverwaltung pflegt für Information des Reichstags Sorge zu tragen,
indem fast in jedem Jahre bei Gelegenheit der Etatsberatung ein üÜberblick
über die geschehenen Ereignisse, die abgewickelten Geschäfte und oft sogar
über die vorhandenen Zustände der auswärtigen Politik vom Reichskanzler
oder seinem Stellvertreter gegeben wird; neuerdings werden, um die In-
formation noch vollständiger zu machen, auch Aktenauszüge im Druck vor-
gelegt. Dagegen pflegt sich die Reichsverwaltung im Interesse der Staats-
sicherheit und guter internationaler Beziehungen sowie um den schwebenden
Verhandlungen der Diplomatie nicht vorzugreifen, in der Regel nicht über
unerledigte Geschäfte der auswärtigen Politik, über ihre Absichten und Motive
auf diesem Gebiet auszusprechen, und hier ist dem Reichstag die Befugnis zu
Interpellationen nicht gewohnheitsmäßig zugestanden; vgl. die Erklärung des
Fürsten Bismarck in der Sitzung des preuß. Abgeordnetenhauses v. 17. Dez.
1868 St. B. 861.
E. Adressen.
Eine dem Art. 81 der preuß. Verf. Urk. entsprechende Bestimmung,
wonach der Landtag das Recht hat Adressen an den König zu richten,
enthält die Reichsverfassung nicht. Doch ergibt sich aus den Verhandlungen
des konst. Reichstags über den Art. 23 für Adressen dasselbe wie für Inter-
pellationen. Amendements, durch die das Recht ausdrücklich festgestellt
werden sollte, wurden abgelehnt, nachdem von einigen Abgeordneten aus-
geführt worden war, daß dieses Recht dem Reichstag auf Grund seiner
staatsrechtlichen Stellung ohne weiteres zustehe (St. B. 445 ff.). Der Reichstag
hat in der Voraussetzung, daß ihm das Recht nicht streitig gemacht wird,
im 88 67, 68 der G.O. nähere Bestimmungen über die Behandlung der
Adresse getroffen. Danach sind nur Adressen vorgesehen, die an den Kaiser
gerichtet werden, nicht auch solche an den Bundesrat. Es wird nämlich mit
Rücksicht auf Art. 12, 16 R.V. angenommen, daß dem Reichstag gegenüber
nur der Kaiser die Regierungsgewalt des Reichs repräsentiert; vgl. v. Rönne I
S. 269, Wagner in Hirth's Annalen 1906 S. 139. — Laband 1 S. 285
A. 3, v. Seydel S. 203, Meyer § 128 A. 6 halten auch Adressen an den
Bundesrat für zulässig. Die Frage dürfte ohne praktische Bedeutung sein.
Dem Bundesrat gegenüber wird für den Reichstag der Weg der Resolution
einfacher sein.
Der Kaiser ist nicht verpflichtet auf die Adrefsen eine Antwort zu geben,
geschweige denn die in der Adresse geäußerten Wünsche zu erfüllen. Gleich-
wohl ist die Anerkennung des Rechts der Adresse für den Reichstag nicht
völlig bedeutungslos, weil darin — ähnlich dem Verhältnis, das für die
Interpellationen gilt — zugleich die Anerkennung liegt, daß der Reichstag
legitimiert ist, auch in Angelegenheiten die außerhalb des Gebiets der Gesetz-
gebung liegen, seine Ansicht dem Kaiser vorzutragen.
F. Information des Reichstags durch Vorlegung tatsächlichen
Materials.
Petitionen, Interpellationen und Adressen geben dem Reichstage Mittel
an die Hand, auch Angelegenheiten, die nicht in das Gebiet seiner gesetz-