V. Reichstag. Art. 30. 459
ihm durch die Verfassung verliehene Privileg einseitig verzichten „darf“.
Auch das Plenum des Reichstags „darf“ den Verzicht nicht gutheißen, und
würde es geschehen, so „darf“ keine Behörde zur Verfolgung des Abgeordneten
schreiten. Denn durch Art. 80 werden nicht bloß die Interefsen des einzelnen
Abgeordneten, sondern die des ganzen Parlaments und darüber hinaus die
des ganzen Volks und der Regierung gewahrt, die sämtlich ein Recht auf
die Sicherung der Unabhängigkeit der Volksvertretung und ein Interesse
daran haben.
IV. „zu irgendeiner Zeit“
bedeutet, daß die Unverantwortlichkeit auch für die Zukunft, also für die
Zeit nach der Beendigung des Mandats gesichert ist.
V. „wegen“
bedeutet, daß die Unverantworlichkeit sich nur auf dasjenige Strafverfahren
erstreckt, das die Abstimmung oder die in Ausübung des Berufes getanen
Außerungen zum Gegenstand hat. Bezieht sich das Verfahren auf eine
andere Straftat des Abgeordneten und werden dabei nur mittelbar seine
geschützten Funktionen berührt, ohne einen Gegenstand der Anklage zu bilden,
so findet Art. 30 keine Anwendung.
VI. in Ausübung des Berufs.
Es ist selbstverständlich, daß nur die Abstimmungen im Plenum und
in den Kommissionssitzungen gemeint find und daß an diesen Abstimmungen
der Abgeordnete nur in Ausübung seines Berufes teilnimmt. Deshalb be-
durfte es wegen der Abstimmung keines weiteren Zusatzes. Dagegen ist mit
dem Wort „Außerungen“ aus den zu VII ausgeführten Gründen ein so
umfassender Begriff bezeichnet worden, daß eine Einschränkung notwendig
war, die dahin gegeben ist, daß die Außerungen in Ausübung des Berufes
getan sein müssen. Die Ausübung des Berufes ist zeitlich dahin zu begrenzen,
daß sie mit der Eröffnung des Reichstags beginnt, mit der Schließung
beendet und während der Vertagung unterbrochen ist, es sei denn, daß in
der Zwischenzeit Kommissionssitzungen stattfinden, an denen der betreffende
Abgeordnete beteiligt ist. Außerhalb der Sitzungsperiode und außerhalb
der Beratungen, mögen es Plenar- oder Kommissionsberatungen sein, hat
der Abgeordnete keine Gelegenheit seinen Beruf auszuüben; private Vor-
bereitungen, Informationen u. dergl. gehören nicht zum Begriff der Aus-
übung des Berufs. Z„
Es genügt nicht, daß die Außerung im örtlichen und zeitlichen Zu-
sammenhang mit der Ausübung des Berufs, im Parlamentsgebäude und
während der Dauer einer Sitzung getan ist, sondern sie muß im ursächlichen
Zusammenhange mit der parlamentarischen Tätigkeit stehen. Deshalb findet,
wie Oppenhof § 11 A. 5 mit Recht bemerkt, Art. 30 keine Anwendung
auf den gelegentlichen individuellen Gedankenaustausch, der während einer
Versammlung zwischen einzelnen Mitgliedern stattfindet und ebensowenig
auf vorbereitende Fraktionsversammlungen, Wahlversammlungen und sogen.
Rechenschaftsberichte; bei allen diesen Angelegenheiten handelt es sich um
ußerungen, die wohl aus Anlaß, aber nicht in Ausübung des Berufs
getan sind.