Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

VII. Eisenbahnwesen. Art. 45. 539 
zustehende Kompetenz zugunsten des Bundesrats freiwillig und überein- 
stimmend — natürlich nicht etwa durch Mehrheitsbeschluß — verzichten. 
Dies ist kein Widerspruch zu Art. 45, sondern nur eine Verwirklichung des 
im Art. 45 aufgestellten Programms. Eine andere Frage ist es, ob ein 
solcher Verzicht auf die eigene Kompetenz mit der Landesverfassung der 
Einzelstaaten im Einklang steht. Da nun der Erlaß der für den Betrieb 
der Bahnen erforderlichen Reglements nicht Sache der Gesetzgebung ist — 
sonft wären es eben Gesetze und nicht Reglements — sondern nur ein Akt 
der Staatsregierung ist, so stets nicht entgegen, daß die Regierungen unter 
der Voraussetzung allseitiger Übereinstimmung sich auf die übertragung ihres 
Rechts an den Bundesrat einigen. Der Einwand, daß auch durch einen 
freiwilligen Entschluß sämtlicher Bundesregierungen die Reichsverfassung 
nicht geändert werden könne und daß es einer Anderung der Verfassung 
gleichkomme, wenn der Bundesrat auf Grund des Art. 45 eine Kompetenz 
ausübe, die ihm nach dem Wortlaut dieses Artikels unzweifelhaft nicht 
zusteht, ist zwar nicht von der Hand zu weisen, aber die Verfassung wird 
ihrem Geiste nach nicht verletzt, weil nur der Erfolg erreicht wird, den 
Art. 45 offensichtlich erstrebt. In Konsequenz der Auffassung, daß die Ver- 
kehrsordnung auf Art. 45 R.V. zurückzuführen ist, erstreckt sie sich nicht auf 
Bayern, das nach Art. 46 ein auch den Art. 45 umfassendes Reservat auf 
dem Gebiete des Eisenbahnwesens hat. Dem Erfordernis der Einheit ist 
dadurch Rechnung getragen, daß für Bayern u. d. 16. Dez. 1899 (Ver- 
ordnungsblatt S. 81) eine Verkehrsordnung mit dem gleichen Inhalt erlassen 
ist; vgl. Laband III S. 121. 
Steht aber die Kompetenz des Reichs fest, so ist auch die Kompetenz 
des Bundesrats, für das Reich die Verkehrsordnung im Wege der Ver- 
ordnung zu erlassen begründet. Die Bestimmung des Art. 4 Ziff. 8, wonach 
dem Reich die „Gesetzgebung über das Eisenvahnwesen“ zusteht, kommt des- 
halb nicht in Betracht, weil sie nur die Aufgabe hat, die Kompetenz des 
Reichs von der Kompetenz der Einzelstaaten abzugrenzen. Art. 45 weist schon 
durch das Wort „Reglement“ auf eine im Wege der Verordnung zu treffende 
Festsetzung hin. Als dann das neue Handelsgesetzbuch erlassen wurde, war 
die alte Verkehrsordnung bereits in Kraft und wurde ungeachtet ihrer nur 
administrativen Bafis vom Handelsgesetzbuch sanktioniert, indem in 88 453 
Ziff. 3 u. Abs. 2, 454, 459 Ziff. 6, 460 Abs. 1, 462, 463, 464, 465 
Abs. 2, 466 Abs. 2 u. 3, 471 Abs. 1, 472, 473 Abs. 1 auf die Verkehrs- 
ordnung als auf eine das Handelsgesetzbuch ergänzende Rechtsnorm ver- 
wiesen wurde. Darin liegt zugleich der gesetzliche Ausdruck dafür, daß 
Veränderungen der Verkehrsordnung auf demselben Wege erfolgen können, auf 
dem die zur Zeit der Emanation des Handelsgesetzbuchs bestehende Verkehrs- 
ordnung erlassen ist. Demgemäß ist in der Denkschrift zum Handelsgesetzbuch 
(vgl. Einleitung zum 7. Abschnitt) bemerkt, daß die Verkehrsordnung nicht 
als Ergänzungsgesetz zum Handelsgesetzbuch, sondern auf dem Wege einer 
Verordnung erlassen werden sollte. Im übrigen wird in Konsequenz des 
zu Art. 7 Alll S. 216 ff. dargelegten Standpunktes angenommen, daß der 
Bundesrat auch zum Erlaß von Verordnungen, die einen das Publikum 
berechtigenden und verpflichtenden Inhalt haben, auf Grund des Art. 7 
Ziff. 2 befugt ist, sofern es sich lediglich um Ausführungsvorschriften handelt. 
Die Verkehrsordnung ist als Ausführungsvorschrift zu Art. 45 R.V. erlassen,
	        
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