XI. Reichskriegswesen. Art. 60. 587
überlassen würden. Daraus würde aber die Möglichkeit hervorgehen, daß
in jedem Jahre die Grundlagen der Armee in Frage gestellt werden könnten,
und es würde der Armee an der Ruhe und Stetigkeit fehlen, die ihr nur
die gesetzliche Festlegung der geplanten Einrichtungen für einen längeren
Zeitraum gewährt; schon im konst. Reichstag wurde dies anerkannt. Denn
wenn Preußen auch einer Modifikation der bestehenden Einrichtungen auf
Grund des Art. 5 Abs. 2 widersprechen könnte, so wurde es doch für
notwendig erachtet, die parlamentarische Beschlußfassung, deren formelle
Zulässigkeit sich aus Art. 69 R.V. ergibt, für den Bestand der Armee auf
längere als einjährige Zeiträume einzuschränken; vgl. die Ausführungen des
Abg. Frhr. v. Rössing in der Sitzung v. 3. April 1867 St. B. 546, des
Abg. v. Forckenbeck, auf dessen Antrag die endgültige Fassung des Art. 60
beruht, und des Kriegsministers v. Roon in der Sitzung v. 5. April 1867
St. B. 572 f., welch letzterer namentlich auf die vermehrte Friktion hinwies,
die sich zwischen den Verbündeten Regierungen aus der Notwendigkeit einer
jährlichen Beschlußfassung ergeben würde; denn die Gesetzgebung über die
Friedenspräsenz enthält eine Bindung nicht nur für den Reichstag, sondern
auch für die militärischen Ansprüche der Armeeverwaltung. Aus den ge-
nannten Ausführungen geht zugleich hervor, daß man nicht daran gedacht
hat, die Forderung einer gesetzlichen Feststellung der Friedenspräsenz in dem
Sinne aufzustellen, daß ihr auch durch die Feststellung der Friedenspräsenz
in dem jährlichen Etatsgesetz genügt werden könne. Denn daß die Friedens-
präsenz, wenn sie sonst noch nicht gesetzlich festgestellt ist, in dem Etatsgesetz
zum Ausdruck kommen muß, ist selbstverständlich. Dann hätte es der Auf-
nahme des 2. Satzes des Art. 60 und des ganzen prinzipiellen Streits, der
darüber im konst. Reichstage geführt wurde, nicht bedurft. Die Feststellung
der Friedenspräsenz nur von einem Jahr zum andern durch das Etatsgesetz
würde der klaren Absicht widersprechen, von welcher die Einführung der
Bestimmung getragen wurde. Der in der Literatur herrschenden Meinung
(vgl. v. Seydel in Hirths Annalen 1875 S. 1410 ff., Laband IV S. 83f.
und die S. 84 A. 2 angeführte weitere Literatur) ist allerdings zuzugeben,
daß diese Absicht der gesetzgebenden Faktoren in der Verfassung keinen hin-
reichenden Ausdruck gefunden hat und daß die Verfassung alle Möglichkeiten
einer gesetzlichen Feststellung offen läßt. Im Hinblick auf seine Motive
verlangt aber Art. 60 für die Zeit nach 1871 eine gesetzliche Feststellung
der Friedenspräsenz nicht nur auf eine von Hause aus begrenzte Zeitdauer,
sondern eigentlich ohne Zeitbeschränkung. Da jedoch die Wehrfähigkeit des.
Reichs eine stetige Erhöhung der Friedenspräsenz verlangt, die sich in ge-
wissem Grade dem Wachstum der Bevölkerung anschließt, also dem Be-
dürfnis der Regierungen mit einer ein für alle Male festgelegten Zahl auch
nicht gedient war, so sind im Wege des Kompromisses seit 1874 stets
Septennate geschlossen worden, d. h. eine gesetzliche Feststellung der Friedens-
präsenz für den Zeitraum von 7 Jahren bis zum Jahre 1899. Bei der
neuen Feststellung, die auf dem Gesetz v. 25. März 1899 R. G. Bl. S. 213
beruht und die zum ersten Male die allmähliche Erhöhung der Friedens-
präsenz einführt, begnügte man sich — ebenfalls zum ersten Male — mit
einem Jahrfünft. Das letzte Gesetz v. 15. April 1905 enthält im Gegensatz
zu allen seinen Vorgängern keinen Schlußtermin seiner Gültigkeit; es ist ein
Aternat. Wie aus seiner Fassung ersichtlich ist, wonach Erhöhungen der