XI. Reichskriegswesen. Art. 63. 601
stimmten Anteil, den jeder Bundesstaat zur Bildung der gemeinsamen
Armee stellen mußte. Das Kontingent brauchte also keineswegs identisch
zu sein mit der ganzen Truppenmacht, die dem betreffenden Bundesstaat
zur Verfügung stand; es war keinem Staat untersagt, darüber hinaus
Truppen zu halten, und die Kopfzahl der preußischen Armee z. B. überstieg
bei weitem das von Preußen zu stellende Bundeskontingent. Jetzt wird
von Reichswegen für jedes Kontingent die Kopfzahl bestimmt, sodaß das
Kontingent sich mit der ganzen Landmacht des betreffenden Bundesstaates
deckt, und wenn im Art. 63 Abs. 1 bestimmt ist, daß „die gesamte Land-
macht des Reichs“ ein einheitliches Heer bilden wird, so bedeutet dies soviel,
als daß alle Kontingente ein einheitliches Heer bilden; neben den Kontin-
genten gibt es eine weitere Landmacht nicht; vgl. Laband IV S. 54f.
Die „Einheitlichkeit“ des Heeres wird namentlich durch folgende Maß-
nahmen hergestellt: Sämtliche Truppen stehen im Kriege und im Frieden
unter dem Oberbefehl des Kaisers; von der bayerischen Armee gilt dies
nur für den Krieg; aber von dieser Ausnahme abgesehen steht dem Kaiser
ausschließlich die höchste Kommandogewalt zu. Das Militärwesen des
Reichs wird durch eine einheitliche Gesetzgebung geregelt; die Ausführungs-
vorschriften dazu werden in der Regel vom Kaiser in einigen Fällen vom
Bundesrat erlassen. Bayern und Württemberg haben gegenüber dieser
Gesetzgebung auf Grund der Schlußbestimmung zum XI. Abschnitt der R.V.
zwar den verfassungsmäßigen Anspruch darauf, daß die aus dem Bündnis-
vertrage v. 23. Nov. 1870 für Bayern und die aus der Militärkonvention
v. 21.:25. Nov. 1870 für Württemberg sich ergebenden Sonderrechte un-
berührt bleiben. Aber tatsächlich haben diese Sonderrechte der Einführung
der Reichsgesetzgebung zu ihrem größten und wichtigsten Teile weder für
Bayern und noch weniger für Württemberg entgegengestanden. Das ganze
Kriegswesen wird auf Kosten des Reichs geführt, und da die inneren Ein-
richtungen der Armee, weil sie in der Regel mit Geldausgaben verbunden
find, durch den Reichsetat festgestellt werden, so bedingt dies eine einheit-
liche Feststellung selbst in den Einzelheiten, die sonst vielleicht in das Gebiet
der den Kontingentsverwaltungen überlassenen Ausführungsmaßregeln fallen
würden. In militärisch-technischer Beziehung, für alle strategischen und
taktischen Zwecke ist die Einheit des Heeres in vollkommener Weise durch-
geführt; nach außen stellt die ganze Armee eine homogene Masse dar.
Jedoch daraus zu schließen, daß das Heer wie die Marine nur eine Ein-
richtung des Reichs und nichts als dies und ohne innere Verbindung mit
den Einzelstaaten sei, würde zu weit gehen. Über den Charakter der Armee
als „Reichsheer“ hat sich in der Literatur ein lebhafter Streit entwickelt —
vgl. Laband IV S.5ff., v. Seydel S. 310 ff., Arndt S. 450 f. und die sich
dort findenden weiteren Literaturangaben — ein Streit, dessen praktische
Bedeutung in Zweifel gezogen werden kann, weil die Verfassung die Kom-
petenz-Frage kafuistisch geregelt hat, und es nur darauf ankommt, daß
über die einzelnen Bestimmungen der Verfassung und der zu ihrer Er-
gänzung dienenden Verträge und Militärkonventionen Klarheit besteht. Bei
der Gründung des Reichs hat die Absicht obgewaltet auf der historischen
Tatsache der militärischen Kontingente, sei es auch mit wesentlichen Modi-
fikationen, die neue Ordnung der Dinge aufzubauen. Zwar ist praktisch
die Kontingentsgewalt gegenüber den aus dem Kaiserlichen Oberbefehl sich