622 XII. Reichsfinanzen. Art. 69.
Begriffsbestimmung des Etats, die unbedenklich auf die Verhältnisse des
Reichs übertragen werden kann, weil staatsrechtlich, wirtschaftlich und politisch
der Etat im Reich dieselbe Rolle spielt wie in Preußen; § 1 des genannten
Gesetzes bestimmt:
„Der Staatshaushaltsetat (Art. 99 der Verf. Urk.) enthält den Vor-
anschlag für alle im Laufe jedes Etatsjahres voraussichtlich eingehenden
Einnahmen und erforderlich werdenden Ausgaben des Staates."“
Es ist danach festzustellen:
1. Der Reichshaushalt ist ein Voranschlag, keine endgültige Feststellung
der Einnahmen und Ausgaben;
2. er enthält alle Einnahmen und Ausgaben des Reichs, die voraussicht-
lich innerhalb eines Jahres entstehen werden.
II. Die Mitwirkung des Bundesrats und Reichstags
bei der Feststellung des Etats.
Die Verfassung schreibt vor, daß der Etat durch ein Gesetz festgestellt
wird. Mit Rücksicht auf Art. 5 R.V. bedeutet dies, daß übereinstimmende
Mehrheitsbeschlüsse des Bundesrats und Reichstags zur Verabschiedung des
Etats erforderlich und ausreichend sind. Nach allgemeinen staatsrechtlichen
Grundsätzen würde die Feststellung des Etats allerdings dem Gebiete der
Verwaltung angehören. Denn materiell handelt es sich dabei nicht um
die Bestimmung allgemein verpflichtender Rechtssätze, sondern um die Ein-
richtung des laufenden Geschäftsgangs der staatlichen Verwaltung, insbesondere
um die Umgrenzung der finanziellen Machtvollkommenheiten der Verwaltungs-
behörden. Daraus, daß dieser Verwaltungsakt im Wege der Gesetzgebung
festgestellt wird, ergeben sich folgende Schlüsse:
1. Der Etat hat Gesetzeskraft. Natürlich gilt dies nur mit der Be-
schränkung, die sich aus dem Begriff des Etats ergibt. Der Etat ist der
Voranschlag für die im Laufe des Jahres voraussichtlich entstehenden Ein-
nahmen und erforderlich werdenden Ausgaben. Gesetzeskraft haben deshalb
nicht die in dem Etat enthaltenen tatsächlichen Mitteilungen, Erläuterungen,
Zahlen usw., sondern nur der bestimmende Teil des Etats, d. i. die Be-
willigung der Ausgaben und die Vorschrift, daß zur Bestreitung der Aus-
gaben die in dem Etat festgesetzten Einnahmen verwendet werden. Dies
find Vorschriften, die sich ihrer Natur nach nur an die Exekutivorgane des
Reichs richten können, d. h. an diejenigen Stellen, die als Verwaltungschefs
die Ausgaben zu leisten und für den Eingang der Einnahmen zu sorgen
haben, und da Ausgaben und Einnahmen vorzugsweise in denjenigen
Zweigen des Reichsdienstes entstehen, die sich in der eigenen und unmittel-
baren Verwaltung des Reichs befinden und dem Reichskanzler unterstellt
find, so sind es der Reichskanzler und in Ansehung der Heeresverwaltung
die Kriegsminister der die Kontingentsverwaltungen führenden Einzel-
staaten, denen die Ausgaben nach Art. 71 bewilligt werden, und an den
Reichskanzler als den Chef der Reichs-Finanzverwaltung richtet sich das
Gebot, gemäß Art. 70 R.V. zur Bestreitung der Ausgaben die im Etats-
gesetz festgestellten Einnahmen zu verwenden. Die Ausgaben werden nur
bewilligt, d. h. der Reichskanzler bez. die Kriegsminister der Kontingents-
herren werden ermächtigt, Ausgaben in diefer Höhe zu leisten, nicht aber
werden die Ausgaben bereits endgültig festgesetzt; denn sonst wäre der Etat