670 XIII. Schlichtung von Streitigkeiten u. Strafbestimmungen. Art. 76.
kann sowohl für bereits schwebende wie für in Zukunft möglicherweise
anhängig werdende Streitfälle geschehen. Die Zulässigkeit einer solchen
Vereinbarung hat Fürst Bismarck in der Sitzung des preuß. Abgeordneten-
hauses v. 9. Januar 1869 St. B. 987 aus Anlaß der Frage anerkannt,
ob Lauenburg an der durch Ges. v. 23. März 1869 von Preußen über-
nommenen Staatsschuld teilzunehmen habe; vgl. auch Laband 1 S. 247,
v. Jagemann S. 215. Natürlich ist dabei vorausgesetzt, daß das Reich
nicht ein eigenes Interesse an der Klarstellung des Sachverhalts hat. In
diesem Falle hat das Reich durch den Bundesrat auf Grund des Art. 7
oder 19 R.V., dessen Voraussetzungen dann gegeben sein werden, aus eigener
Machtvollkommenheit in den zwischen den verschiedenen Bundesstaaten oder
den Verfassungsorganen eines und desselben Staats bestehenden Streit ein-
einzugreifen, um das Reichsinteresse wahrzunehmen.
II. Die Erledigung von Streitigkeiten zwischen verschiedenen
Bundesstaaten.
a) Die in Betracht kommenden Streitigkeiten.
In Frage kommen nur Streitigkeiten, die nicht privatrechtlicher Natur
sind. Denn für letztere sind gemäß § 13 G.V. G. die ordentlichen Gerichte
und in letzter Instanz das Reichsgericht zuständig, es sei denn, daß die im
Streit befindlichen Staaten auf Grund der §§ 1025 ff. C.P.O. den Bundesrat
zum Schiedsrichter bestellen; vgl. v. Jagemann S. 215. Streitigkeiten straf-
rechtlicher Natur werden praktisch ausgeschlossen sein. Es bleiben daher
nur Streitigkeiten auf verfassungs= und verwaltungsrechtlicher Grundlage
übrig. Ein Kriterium für Streitigkeiten solcher Art ist darin zu finden,
daß auf der einen oder anderen Seite Staatshoheitsrechte beteiligt sind.
Da alle privatrechtlichen Ansprüche hierbei ausgeschlossen find, ist es gleich-
gültig, wer das Subjekt dieser Ansprüche ist. Auch für privatrechtliche
Forderungen, die von einem Bundesfürsten gegen einen anderen Bundesstaat
oder umgekehrt gerichtet sind, ist der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen.
Dasselbe gilt von dem im Art. 30 der Wiener Schlußakte genannten Fall,
daß Forderungen von Privatpersonen deshalb nicht befriedigt werden können,
weil die Verpflichtung ihnen Genüge zu leisten zwischen mehreren Bundes-
staaten streitig ist. Auch hierbei handelt es sich um einen nur privatrecht-
lichen Fall, der nach den civilrechtlichen Grundsätzen von der Streitver-
kündung im gewöhnlichen Civilprozeßverfahren zu erledigen ist, vorausgesetzt
natürlich, daß der Anspruch privatrechtlicher Natur ist. Doch wird bei
Privatpersonen nicht leicht etwas anderes in Frage kommen. Streitigkeiten,
die sich aus der Vollziehung des Gothaer Vertrages v. 15. Juli 1851
ergeben (Armenfürsorge im Verhältnis zu Bayern), sind nicht nach Art. 76
R.., sondern nach § 12 dieses Vertrages zu erledigen, da der Vertrag,
soweit er überhaupt noch gemäß Art. 3 R.V. territorial Anwendung findet,
in seiner Totalität aufrecht erhalten ist; ebenso Riedel Reichsverfassung
S. 162. Im übrigen werden Streitigkeiten wegen Armenlasten gemäß
§§ 37 ff. des Reichsges. über den Unterstützungswohnsitz v. 30. Mai 1908
R.G.Bl. S. 381 auch zwischen verschiedenen Bundesstaaten nicht durch den
Bundesrat, sondern durch das Bundesamt für das Heimatwesen entschieden.
Dagegen ist der Bundesrat zur Entscheidung auf Grund des Art. 76 Abf. 1