XIII. Schlichtung von Streitigkeiten u. Strafbestimmungen. Art. 77. 677
als verfassungsmäßig begründet ansehen, wenn man von der in dem Eingang
der Reichsverfassung zum Ausdruck kommenden Bestimmung ausgeht. Der
Umstand, daß das Reich auf einem Bunde der souveränen deutschen Fürsten
und freien Städte beruht, begründet für das Reich, das insoweit mangels
einer abweichenden Bestimmung der Verfassung durch den Bundesrat ver-
treten wird, die Kompetenz jederzeit die Legitimation der Bundesfürsten
daraufhin zu prüfen, ob sie nach den Vorschriften des für sie maßgebenden
Landesverfassungs= und Privatfürstenrechts die wahren Rechtsnachfolger der
in der Einleitung der Reichsverfassung genannten Bundesfürsten find. Unter
diesem Gesichtspunkt bedarf es nicht einmal der Anrufung des Bundesrats
durch eine Bundesregierung, sondern der Bundesrat kann von Amts wegen
alle erforderlichen Ermittelungen und Entscheidungen treffen. Natürlich
kann die Entscheidung auch dahin lauten, daß ein Schiedsgericht bestellt
werde, das seinerseits die materielle Entscheidung zu treffen habe. Anderer
Ansicht ist Arndt S. 113, der annimmt, daß der Bundesrat nur bei Ge-
legenheit der Prüfung der Legitimation der Bundesratsbevollmächtigten
mittelbar eine Entscheidung treffen könne. Dann würde der Bundesrat
ausgeschaltet sein, solange die betreffende Regierung einen Bevollmächtigten
zum Bundesrat überhaupt nicht entsendet. Von Laband 1 S. 253 A. 1
wird mit Recht auf das historisch bedeutsame Moment hingewiesen, daß
selbst im alten Deutschen Bunde, einer viel loseren Vereinigung der Bundes-
fürsten als das Deutsche Reich, die Bundesversammlung das Recht für sich
in Anspruch genommen hat, die Thronfolge in den Bundesstaaten und die
Wahrung agnatischer Rechte zum Gegenstande ihrer Beschlußfassung zu
machen.
Artikel 77.
Wenn in einem Bundesstaate der Fall einer Justizverweigerung ein-
tritt, und auf gesetzlichen Wegen ausreichende Hülfe nicht erlangt werden
kann, so liegt dem Bundesrate ob, erwiesene, nach der Verfassung und den
bestehenden Gesetzen des betreffenden Bundesstaates zu beurteilende Be-
schwerden über verweigerte oder gehemmte Rechtspflege anzunehmen, und
darauf die gerichtliche Hülfe bei der Bundesregierung, die zu der Beschwerde
Anlaß gegeben hat, zu bewirken.
Die praktische Bedeutung dieser Bestimmung ist jetzt gering, weil durch
das Gerichtsverfassungsgesetz für das ganze Reich ein geordneter Instanzenzug
vorgeschrieben ist und damit für das Gebiet der ordentlichen Rechtspflege
kaum noch eine Lücke gelassen ist, aus der ein Fall der Justizverweigerung
entstehen könnte. Die durch das Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebene
Unabhängigkeit der Gerichte, die sich namentlich auch auf Eingriffe der Re-
gierung bezieht, wird durch die Vorschrift des Art. 77 nicht berührt. Denn
das Recht des Bundesrats reicht nicht weiter als das der Justizverwaltugs-
behörden der Einzelstaaten; vgl. v. Seydel S. 411. Da die Entscheidungen
der Gerichte durchweg nur in dem vorgeschriebenen Instanzenzug anfechtbar
und jedem Eingriff der Justizverwaltungsbehörden entzogen find, ein der-
artiger Eingriff übrigens selbst dann ausgeschlossen wäre, wenn das zu-
ständige Gericht sich durch ein rechtskräftiges Urteil für unzuständig erklärt