Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

II. Reichsgesetzgebung. Art. 2. 65 
seit Jahren aus diesem Gesetz begründeten Rechte und Pflichten entstehen 
würde, um die politische Unzweckmäßigkeit der gegenteiligen Auffassung zu 
erkennen. 
Jc) Die Zulässigkeit von Berordnungen. 
Geht man davon aus, daß Satz 2 des Art. 2 die Verbindlichkeit der 
gehörig verkündeten Reichsgesetze auch gegenüber den Behörden feststellt, so 
gilt doch dasselbe nicht für Verordnungen des Reichs, weil es für Ver- 
ordnungen an einer entsprechenden Bestimmung der Reichsverfassung fehlt 
— pvgl. Meyer S. 633 und die dort angeführte Literatur — und zwar ist 
zu prüfen, ob der Gegenstand, um den es sich handelt, überhaupt im Wege 
der Verordnung geregelt werden durfte, ob dasjenige Reichsorgan, das die 
Verordnung erlassen hat, hierzu berechtigt war und ob die Verordnung 
gehörig verkündet ist. Diesen Standpunkt hat das Reichsgericht mit Recht 
vertreten. In den Entscheidungen Cs. Bd. 40 S. 76 und Bd. 58 S. 88 ist 
eingehend geprüft, ob Verordnungen des Bundesrats gehörig verkündet seien, 
in der Entscheidung v. 28. März 1889 (4. Cs. Bd. 24 S. 3) ist unter grund- 
sätzlicher Anerkennung des Prüfungsrechtes untersucht worden, ob für die 
Bundespräsidialverordnung v. 22. Dez. 1868 B. G. Bl. S. 571 betr. Kom- 
munalabgaben der Militärpersonen die verfassungsmäßige Grundlage im 
Art. 4 R.V. enthalten sei. Die Zweckmäßigkeitsgründe, die gegen die 
richterliche Nachprüfung des verfassungsmäßigen Zustandekommens der 
Reichsgesetze sprechen, stehen zwar zum Teil auch der Nachprüfung der 
Verordnungen entgegen, jedoch nicht in demselben Umfange; vgl. auch 
Art. 7 A III am Ende. 
d) Die Geltung der Vorschriften des Landesrechts 
gegenüber dem Reichsrecht. 
Auch auf diesen Fall bezieht sich Art. 2 Satz 2 nicht, da dort nur die 
Verbindlichkeit der Reichsgesetze, nicht die von Normen des Landesrechts 
festgestellt wird, und die Vorschriften der Landesverfassungen, z. B. Art. 106 
der preußischen Verfassungsurkunde, die das richterliche Prüfungsrecht für 
Landesgesetze und Verordnungen einschränken, beziehen sich nicht auf Fälle, 
in denen es fraglich ist, ob Landesrecht neben Reichsrecht noch bestehen. 
kann. Diese Prüfung ist geradezu eine Notwendigkeit, weil nicht in allen 
Fällen, in denen eine bisher dem Landesrecht überlassen gewesene Materie 
durch das Reichsrecht geregelt wird, die erledigten landesrechtlichen Vor- 
schriften ausdrücklich zurückgenommen und aufgehoben werden. Die Be- 
hörden find also zur Durchführung des Art. 2 darauf angewiesen, in allen 
zweifelhaften Fällen zu prüfen, ob das Landesrecht durch das Reichsrecht 
aufgehoben ist — ebenso Laband II S. 113, Meyer S. 636, v. Rönne II 
S. 8, v. Seydel S. 43; das Reichsgericht hat in zahlreichen Entscheidungen, 
ohne die Frage des Prüfungsrechts noch zu erörtern, geprüft, ob Vorschriften 
des Landesrechts mit Rücksicht auf Art. 2 R.V. als rechtsgültig behandelt 
werden könnten; vgl. von den Entscheidungen der letzten Jahre z. B. Es. Bd. 51 
S. 63, Bd. 55 S. 252, Bd. 61 S. 13 — Strfs. Bd. 34 S. 121. — Denselben 
Standpunkt vertritt das Kammergericht z. B. Bd. 15 S. 306 und das Ober- 
verwaltungsgericht z. B. Bd. 35 S. 422, Bd. 37 S. 433; Staatssteuersachen 
Bd. 10 S. 168. 
Dambitsch. Deutsche Reichsverfassung. 5
	        
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