68 II. Reichsgesetzgebung. Art. 3.
sätzlich an den Besitz der Staatsangehörigkeit eines der fünfundzwanzig
Einzelstaaten geknüpft, und damit hat die Reichsverfassung das System
übernommen, das in der Schweiz gilt, deren Bundesverfassung das kantonale
Bürgerrecht die Grundlage für das Schweizer Bürgerrecht bilden läßt,
während in den Vereinigten Staaten von Nordamerika — dem einzigen
Staatswesen, das als Bundesstaat neben der Schweiz noch zum Vergleich
herangezogen werden kann — die Staatsangehörigkeit des Bundes selbständig
und unabhängig von dem Verhältnis erworben wird, in welchem die Staats-
angehörigen zu den einzelnen Staaten stehen; vgl. die Ausführungen des
Bundesratsbevollmächtigten für Hessen, Hofmann, in der Reichstagssitzung
v. 25. Febr. 1870 St. B. 81.
Im übrigen ist für die allgemeine Charakterisierung des Art. 3
folgende Ausführung desselben Vertreters der Verbündeten Regierungen
in der Sitzung des konst. Reichstages v. 19. März 1867 St. B. 244 von
Bedeutung:
„Wenn man auch einerseits in dem Prinzip, in dem Grundgedanken
des Entwurfs einverstanden war, daß nämlich Beschränkungen, welche
bisher die Landesgrenzen in bezug auf den Verkehr der Personen dar-
geboten hatten, in demselben Maße beseitigt und beschränkt werden
mußten, wie man die Landesgrenzen für den Verkehr der Güter, für
kommerziellen und industriellen Verkehr allmählich beseitigt hat, so mußte
man sich doch andererseits bekennen, daß, wenn man dieses Prinzip un-
bedingt und ohne nähere Präzisierung seiner praktischen Folgen in den
Verfassungsentwurf aufnehmen wollte, dadurch sehr tief in die Gesetz-
gebung und in die Verwaltungsgrundsätze der einzelnen Staaten ein-
gegriffen werden würde, daß man namentlich die kommunalen Verhältnisse
in einer Weise dadurch alterieren würde, die zu den größten Mißständen
Veranlassung geben könnte, daß ferner die bestehenden Einrichtungen für
die Armenpflege sowie die Art und Weise, wie die Militärpflicht dem
Heimatlande gegenüber zu erfüllen ist, vollständig in Frage gestellt werden
würden und eine wahre Verwirrung hinsichtlich der Behandlung dieser
Gegenstände in der Verwaltung der einzelnen Staaten eintreten müßte.
Man kam deshalb zu der ÜUberzeugung, daß man zwar das Prinzip
vollständig klar und fest hinstellen, auf der anderen Seite zugleich
aber die praktischen Wirkungen dieses Prinzips in einer Weise näher
bestimmen müsse, daß die von mir angedeuteten Nachteile nicht zu be-
fürchten find. Aus diesem Bestreben ist die jetzige Faffung des Ihnen
vorliegenden Art. 3 hervorgegangen. Man hat den Grundsatz aus-
gesprochen, daß es im Norddeutschen Bund keinen deutschen Ausländer
gibt, man hat aber zugleich die Wirkung dieses Grundsatzes in Be-
ziehung auf die einzelnen Zweige der Verwaltung und der Gesetzgebung
näher formuliert."
Mit anderen Worten: der Art. 3 bietet, um dem Charakter des Reichs
als einer Staatengemeinschaft gerecht zu werden, ein Kompromiß zwischen
der Idee des Einheitsstaates und der Tatsache der fortdauernden Existenz der
Einzelstaaten. Man hat zwar den Grundsatz aufgestellt, daß das für die In-
länder der einzelnen Bundesstaaten geltende Recht innerhalb desselben Bundes-
staats auf alle Untertanen des Deutschen Reichs in gleicher Weise angewendet
werden soll, aber man hat auf der andern Seite der staatlichen Selbständigkeit