II. Reichsgesetzgebung. Art. 3. 71
Staatsbürger dagegen, in Angelegenheiten des Post- und Konsulatswesens
sowie der Marine, Reichsbürger; vgl. Laband I S. 145, Arndt S. 49f. —
anderer Ansicht: v. Seydel S. 49 f., der ein unmittelbares Untertanen-
verhältnis nur gegenüber dem Einzelstaat anerkennt, während umgekehrt
Zorn 1 S. 344 annimmt, daß nur gegenüber dem Reiche ein unmittelbares
Untertanenverhältnis besteht.
3. Ein gemeinsames Indigenat für ganz Deutschland.
Auf das nach den Ausführungen unter 2 begründete Reichsbürgerrecht
bezieht sich Art. 3 nicht; denn falls es sich um Materien handelt, die der
Gesetzgebung und Verwaltung des Reichs unterworfen find, kann die Gefahr
einer ungleichmäßigen Behandlung der Angehörigen verschiedener Bundes-
staaten nicht entstehen; daß in der Machtsphäre des Reichs der Grundsatz
„gleiches Recht für alle Deutschen“ in jeder Richtung gilt, ist selbst-
verständlich und bedarf keines besonderen gesetzlichen Ausdrucks, wie er sich
im Art. 3 für diejenigen Staatsfunktionen findet, für welche die Gesetz-
gebung und Verwaltung oder eines von beiden den Einzelstaaten obliegen
und bezüglich deren für die Angehörigen dieser Staaten ohne weiteres das
Staatsbürgerrecht begründet ist. Hier greift Art. 3 vorbeugend ein, ver-
hindert die Möglichkeit einer ungleichmäßigen Behandlung und bestimmt,
daß die Angehörigen der anderen Bundesstaaten so angesehen werden sollten,
wie wenn sie dasselbe Staatsbürgerrecht besäßen, im Gegensatz zu den
Personen, die dem Deutschen Reich überhaupt nicht angehören und deshalb
allein im Sinne des Art. 3 als Ausländer zu behandeln find; vgl. Entsch.
des Reichsgerichts v. 31. Mai 1899 I Strff. Bd. 32 S. 204.
4. Der Personenkreis, auf den sich das Indigenat bezieht.
a) Der Begriff der Untertanen und Staatsbürger.
Die Reichsverfassung gibt das Recht auf das gemeinsame Indigenat
den Angehörigen aller Einzelstaaten. Durch die den Worten „Angehörige“ in
Klammer zugefügten Worte „Untertan, Staatsbürger“ sollte offenbar der
zur Zeit des Erlasses der Verfassung des Norddeutschen Bundes noch nicht
überall geläufige und feststehende Begriff des „Angehörigen“ eines Bundes-
staates näher erläutert werden, und die Zusammenstellung von „Untertan“
und Staatsbürger“ deutet auf die übrigens selbstverständliche Tatsache hin,
daß die Staatsangehörigkeit ebensowohl die staatsbürgerlichen Rechte wie
die Gehorsamspflichten der Untertanen umfaßt. Im modernen Rechtsstaate
sind alle Angehörigen des Staates sowohl Staatsbürger wie Untertanen:
Staatsbürger mitbezug auf ihre durch die Verfassung begründeten politischen
Rechte, Untertanen mitbezug auf ihre Gehorsamspflicht gegenüber dem Staats-
souverän; vgl. Fürst Bismarcks Rede in der 2. Kammer des preußischen Land-
tages v. 21. April 1849 (Horst Kohl: Politische Reden des Fürsten Bismarck
Bd. 1 S. 85, Rofin: Grundzüge S. 41, v. Treitschke: Politik S. 139.
Es ergibt sich ohne weiteres, daß die Landesherren keine Untertanen
sind, wohl aber die Mitglieder der Familien der regierenden deutschen
Fürsten und die Häupter der vormals unmittelbaren deutschen fürstlichen
und gräflichen Häuser und ihrer Familien, deren Besitzungen medialisiert
und den deutschen Bundesstaaten einverleibt sind; denn auch sie sind den
regierenden Fürsten untertan; vgl. v. Rönne 1 S. 95 A. 1.