Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

II. Reichsgesetzgebung. Art. 3. 83 
Nation zusammenzufassen gestrebt, wo fie bei ihrer Entfaltung nach innen 
wie nach außen in einer Hand das Tüchtigste zu leisten vermögen. Auf 
allen anderen Gebieten dagegen haben wir die Autonomie der einzelnen 
Staaten möglichst wenig beschränken wollen. Die Errungenschaften aber, 
deren wir uns in Preußen erfreuen in Beziehung auf religiöse Toleranz 
und auf die Gleichstellung der Bekenntnisse bei Ausübung von Rechten 
auf allen bürgerlichen Gebieten, diese Errungenschaften vor allem find dabei 
nicht in Frage gestellt worden und die wollen wir auch nicht in Frage 
gestellt wissen. Wir wollen sie bewahren und wir haben ein solches Ver- 
trauen auf die werbende Kraft, die in diesen Prinzipien selbst liegt, daß 
wir nicht daran zweifeln, sie baldmöglichst überall adoptiert zu sehen." 
Wenn gegenüber dieser bestimmten, von verantwortlicher Stelle aus 
gegebenen Erklärung, daß der Reichskompetenz das religiöse Gebiet nicht 
übertragen werden sollte, schon in den nächsten Jahren ein Reichsgesetz 
erging, das über die rechtlichen Folgen des religiösen Bekenntnisses Vor- 
schriften enthält, so ist dies nur so zu erklären, daß es sich bei dem Gesetz 
darum handelte, die Wirksamkeit des gemeinsamen Indigenats sicher- 
zustellen; es sollte insbesondere ausgeschlossen werden, daß einzelne Bundes- 
staaten, indem sie an das religiöse Bekenntnis Beschränkungen in bürger- 
licher und staatsbürgerlicher Beziehung knüpften, dadurch die Freizügigkeit 
von einem Bundesstaat in den andern für einzelne Kreise der Bevölkerung, 
nämlich für die Angehörigen der von der Beschränkung betroffenen Religions- 
gemeinschaft einengten. 
Unter den Begriff der „bürgerlichen Rechte“ fallen nicht die Sonder- 
rechte einzelner Personenkreise, sondern der Begriff des „bürgerlichen Rechts“ 
setzt voraus, daß es sich um Rechte handelt, die — von Ausnahmen ab- 
gesehen — allen Staatsangehörigen zustehen. Mit diesem Standpunkt steht 
die Entscheidung des Kammergerichts (Bd. 23 S. A 192 ff.) im Einklange, 
wonach auf Grund des Art. 3 nicht beansprucht werden kann, daß das in 
einem Bundesstaate verliehene Adelsprädikat in allen anderen Bundesstaaten 
zugelassen werde; — ebenso Kekule von Stradouitz im Arch. f. öff. R. Bd. 18 
S. 210 ff.; die Befugnis zur Führung des — wenn auch rite erworbenen — 
Adelsprädikates ist kein allgemeines „bürgerliches“ oder „staatsbürgerliches“ 
Recht im Sinne des Art. 3. 
Ebensowenig fallen die Steuerprivilegien, welche einzelne Bundesstaaten 
den Beamten und Offizieren geben, unter diesen Begriff, so daß die Be- 
amten und Offiziere anderer Bundesstaaten, die in Preußen ihr Gehalt oder 
ihre Penfion verzehren, sich nicht auf Art. 3 berufen können, um das den 
preußischen Offizieren und Beamten gewährte Kommunalsteuerprivileg für 
sich in Anspruch zu nehmen. Das Oberverwaltungsgericht hat deshalb mit 
Recht in einer Entsch. v. 20. März 1903 B. 44 S. 39 ausgesprochen, daß 
aus Art. 3 sich nicht folgern läßt, daß ein verabschiedeter bayrischer Offizier, 
der sich in Preußen aufhält, hinsichtlich der Kommunalbesteuerung seiner 
Pension so behandelt werden müßte wie ein preußischer Offizier. 
8. „Unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische."“ 
Art. 3 bedeutet nicht, daß alle dort genannten Rechte den Angehörigen 
eines jeden Einzelstaates in jedem anderen Einzelstaate unbeschränkt zustehen, 
sondern sie find nur zum Erwerb und zur Ausübung der Rechte unter 
6*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.