Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

II. Reichsgesetzgebung. Art. 3. 87 
Die Thronrede zählt also die wichtigsten Konsequenzen des gemeinsamen 
Indigenats auf. Wenn unter diesen „Konsequenzen“ solche sind, die im 
Art. 3 nicht genannt find, so ist dies ein Fingerzeig mindestens dafür, daß 
damals bei der Reichsverwaltung die UÜberzeugung herrschte, Art. 3 enthalte 
keine erschöpfende Aufzählung der Konsequenzen des gemeinsamen Indigenats. 
In dem ersten Teile wiederholt die Aufzählung nur den Inhalt des Art. 3: 
Freiheit der Niederlafsung, des Erwerbes von Grundbesitz und Betriebes der 
Gewerbe, die Regelung der Bedingungen für den Erwerb und Verlust der 
Bundesangehörigkeit und der Staatsangehörigkeit. Dagegen gehören die 
Beseitigung der Doppelbesteuerung (Bundesgesetz v. 13. Mai 1870 B. G. Bl. 
S. 119 — im ganzen Bundesgebiet gültig mit Novelle v. 22. März 1909 
R. G. Bl. S. 329), die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der Ehe- 
schließung (Bundesgesetz v. 4. Mai 1868 B. G. Bl. S. 149 — nicht gültig 
in Bayern und Elsaß-Lothringen) und die Beseitigung der Abhängigkeit 
staatsbürgerlicher Rechte von konfessionellen Unterschieden nicht zu den im 
Art. 3 genannten Konsequenzen des gemeinsamen Indigenats. Wenn man 
der oben S. 82 vertretenen Ansicht folgt, daß die Zusammenfassung der 
staatsbürgerlichen und der bürgerlichen Rechte im Art. 3 alle öffentlichen 
(politischen) und privaten Rechte umfaßt, die allgemeiner Natur und nicht 
etwa Sonderrechte einzelner Klassen und Stände find, so lassen sich auch 
die zuletzt genannten Materien der Reichsgesetzgebung, deren Zusammenhang 
mit Art. 4 R.V. — nur Ziffer 1 des Art. 4 kommt in Betracht — 
zweifelhaft sein kann, als Ausflüsse des gemeinsamen Indigenats ansehen, 
und dann ist der Kreis der rechtlichen Konsequenzen des gemeinsamen In- 
digenats so weit gezogen, daß der dem Art. 3 zugrunde liegenden Idee 
der allgemeinen Rechtsgleichheit der Deutschen volllkommen genügt wird, 
auch wenn man den Standpunkt einnimmt, daß die durch „demgemäß"“ 
eingeleitete Aufzählung der Konsequenzen des gemeinsamen Indigenats er- 
schöpfend ist. Zu demselben Ergebnis kommt v. Seydel S. 52. Es kann 
aber nicht zugegeben werden, daß — wie dort ausgeführt ist — die ent- 
gegengesetzte Ansicht zu anderen praktischen Folgen nicht führe, da an eine 
unmittelbare Anwendung des Grundsatzes des Art. 3 ohne eine ihn in 
concreto durchführende Bestimmung nicht zu denken sei. Der Grundsatz 
des Art. 3 kommt überall da — auch ohne ausführende reichsgesetzliche 
Bestimmungen — zur unmittelbaren Geltung, wo es sich um die Frage 
handelt, ob die Gesetzgebung der Einzelstaaten mit dem Grundsatz des Art. 3 
im Widerspruch steht; es kann von den Gerichten und Verwaltungsbehörden 
die Anwendbarkeit landesgesetzlicher Bestimmungen im einzelnen Falle auf 
Grund des Art. 3 unmittelbar vereint werden. 
IV. Beschränkung durch die Obrigkeit der Heimat 
oder eines anderen Bundesstaates. 
Nur in der Ausübung „dieser“, d. h. der in Abs. 1 bezeichneten Be- 
fugnis, darf kein Deutscher durch die Obrigkeit seiner Heimat oder durch 
die Obrigkeit eines anderen Bundesstaates beschränkt werden. Es darf ihm 
also durch die Obrigkeit keines Staates verwehrt werden, in einem anderen 
Bundesstaat bezüglich der Begründung eines festen Wohnsitzes, der Zulassung 
zum Gewerbebetrieb und zu öffentlichen Amtern, der Erwerbung von
	        
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