16 Wahlrecht in Italien.
an allmählich die anderen Landschaften von Italien mit
sich vereinigte, wurde jedesmal die Bevölkerung befragt
und entschied sich dafür in einer allgemeinen Abstimmung.
Aber man hütete sich sehr wohl, eben die Staatsbürgerschaft,
deren Willen man für die Errichtung des Staates selber
herangezogen hatte, nun auch an der Regierung des Staates
teilnehmen zu lassen. Das Wahlrecht blieb vielmehr für
das neugeschaffene Königreich Italien so, wie es bisher im
Königreich Sardinien gewesen war, nämlich gebunden an
eine jährliche direkte Steuerleistung von wenigstens 40 Lire
= 32 Mark. Infolgedessen besaßen bei der Armut der
Italiener das Wahlrecht noch keine 2 ½% der Bürgerschaft.
Im Jahre 1882 wurde der Zensus von 40 auf 19,80 Lire
herabgesetzt und überdies das Wahlrecht allen Bürgern er-
teilt, die lesen und schreiben konnten; auch dadurch wurde die
Zahl der Wähler von etwa 600000 doch auf nicht mehr
als 2½ Millionen gebracht, da die Kunst des Lesens und
Schreibens, so leicht man auch das Examen darin ge-
staltete, doch in weiten Provinzen noch recht selten war.
Gerade jetzt in den letzten Wochen hat eine neue Wahl-
reform stattgefunden, deren Träger der Minister Giolitti
ist. Sie verleiht das Wahlrecht allen Bürgern, die 21 Jahre
alt sind und lesen und schreiben können oder ihre Militär-
pflicht erfüllt haben, sowie allen Bürgern, die 30 Jahre
alt sind, auch wenn sie nicht lesen und nicht schreiben
können. Durch diese Bestimmung wird die Zahl der Wähler
von rund 3 auf rund 8 Millionen erhöht, und etwa 80%
der volljährigen Bürger werden in Zukunft wahlberechtigt
sein, während es bisher nur 32% waren. Dem Antrag,
sofort das allgemeine gleiche Stimmrecht einzuführen, hat
sich Giolitti widersetzt: Der Sprung würde zu groß sein;
man solle zunächst einmal einen Übergang schaffen. Auch