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Verwaltung heranzog, die ihnen den größten Segen brachte. Nicht mehr brauchten sie
alle paar Jahre vor ränberischen Nachbarn in den Busch zu fliehen, während die Hütten
in Flammen aufgingen, und das Vieh, oft auch die Familie geraubt wurde. Uberall
wurden Medikamente unentgeltlich abgegeben, durch Impfungen und andere hygienische
Maßnahmen die Senchen bekämpft. Wer sich rechtsuchend auf die Station begab, fand
einen unbestechlichen und unparteiischen Richter. Der Neger schätzt nichts, was nichts
kostet. So mußte einerseits abgewartet werden, bis ihm die Segnungen der europäischen
Kultur in die Angen sprangen, anderseits mußte ihm der Zusammenhang von Gabe und
Gegengabe klargemacht werden. Dies konnte nicht schwer sein, da er fast überall von
alters her an Häuptlingsabgaben gewöhnt war. Um Störungen des Landfriedens zu
vermeiden, war eingeschärft worden, daß nur dort, wo Verwickelungen nicht zu befürchten
waren, die Stenern erhoben werden durften. Auch wurde Lieferung in Kautschuk,
Getreide, Vieh, und anderen Produkten, ja besonders in Gestalt von Arbeitsleistungen,
angenommen. Dies erwies sich als besonders segensreich. Denn nun mußten Tausende
und aber Tausende von Händen beschäftigt werden, und um dies möglich zu machen,
wurden überall Wegebanten großen Stils in Angriff genommen. Wem auch die Arbeits-
kräfte nichts kosteten, so brauchte man doch Mittel, um die Verpflegung — mindestens
des Aufsichtspersonals —, Handwerkszeng und Material für die Brückenbauten zu be-
sorgen. Es war deshalb ein glücklicher und genialer Griff, daß gleichzeitig mit der Steuer-
erhebung verfügt wurde, daß ein Bruchteil der Einkünfte — bei den Bezirksämtern
50 Proz., später auch im Innern 10 Proz. — in die Kommmnalkassen fließen sollten,
aus denen anßer den Erhebungskosten Aufwendungen für lokale Bedürfnisse der Bezirke
zu bestreiten waren. Die Hüttenstener brachte im ersten Jahre 347.000 Rupie in bar
die ebenfalls neu eingeführte Gewerbestener, an der die Kommnnalkassen mit 20 Proz.
beteiligt waren, 1898 6000, 1899 120 000 Rupie.
Die Kommnunalkassen waren ans kleinen Anfängen entstanden. In den Küsten-
städten ergab sich bald die Notwendigkeit für Bedürfnisse, die im Etat nicht vorgesehen
waren, wie Straßenbeleuchtung, Müllabfuhr usw., Mittel aufzubringen. So gründeten
die Bezirksamtmänner besondere Nebenkassen, für die sie bei den Hausbesitzern Beiträge
erhoben. Offentlich-rechtlich in die Erscheinung traten diese Kassen zuerst in der Wiß-
mannschen Jagdverordunng, welche einen Teil der Jagdscheingebühren den „Bezirks-
kassen“ überwies. Gemeint waren die Kommnnalkassen. Die rechtliche Grundlage aber
erhielten sie erst durch die kaiserliche Verordnung vom 3. Juli 1899 und die Reichs-
kanzlerverordnung vom 29. März 1901 betreffend die Schaffung kommnnaler Verbände
in Deutsch-Ostafrika.
Leider waren die beiden Jahre 1897 und 1898 Hungerjahre. Die Regenzeit blieb
streckenweise volle 18 Monate ans. Dazu kamen Heuschreckenschwärme, die das wenige,
was gewachsen war, kahl fraßen. Um das Maß der Leiden voll zu machen, brachen die
Pocken ans und erreichte der Sandfloh auf seiner Wanderung um die Erde Deutsch-
Ostafrika. Dieses kleine, kaum sichtbare Insekt vermehrt sich ungeheuer rasch und springt
in ganzen Scharen die Vorübergehenden an. Die befruchteten Weibchen bohren sich
in die Haut, besonders unter den Nägeln, schwellen bis zur Erbsengröße an und entleeren
ihre Eier. Dadurch entstehen brandige Wunden, die den Verlust von Gliedmaßen, ja
des Lebens verursachen können. Besonders in den ersten Jahren, als die Eingeborenen.
die Art des Leidens noch nicht kannten, waren die Folgen schlimm. Im Jahre 1899
wurden außerdem noch einheimische Pestherde (am westlichen Ufer des Vietoria-Njansa
und in Uhähä) entdeckt.
Die Hungersnot trieb die Eingeborenen auf Plantagen und zum Wegeban, so daß
man, wie so oft in Afrika, das Hungerjahr als gutes Arbeiterjahr ansprechen konnte.
Natürlich wurde vom Gonvernement alles mögliche getan, um die Not zu mildern.
Glücklicherweise war 1899 ein gutes Erntejahr.
. Die wirtschaftlichen Unternehmungen in der Kolonie entwickelten sich weiter. In
Kikogwe ging man vom Kaffee ganz zum Sisal über. Eine Zuckerfabrik wurde in Pangani