Full text: Deutschland als Kolonialmacht.

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Graf Götzen wurde sehr jung Gonvernenr: mit 34 Jahren. Mit einer gewissen 
Eifersucht glaubte er seine Stellung gegen die älteren oder gleichaltrigen Mitarbeiter in 
der Kolonie wahren zu müssen. Zudem war der sonst so nüchtern-verständige Mann 
kein Menschenkenner. In der Wahl seiner Umgebung verfolgte ihn vielfach Mißgeschick. 
Die Periode Götzen bedentet die bewußte Abkehr von dem bisherigen System. 
Friede mit dem Kolonialamt und Reichstag, Friede im Innern war ihre Signatur. 
Der Friede nach oben hin schien ihm eine völlig veränderte Finanzpolitik zu erfordern. 
Mit peinlicher Akkuratesse wurde gearbeitet. Die Kalkulatur wurde das fast wichtigste 
Organ in der Kolonie. Seit Götzen kamen Ulberschreitungen des Etats nicht mehr vor; 
wenn aber gar bald die Zeit der chronischen Uberschüsse einsetzte, so war das weniger ein 
Ergebnis der neuen Finanzpolitik als der veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse in der 
Kolonie; die unter Liebert eingeführten Steuern begannen reiche Erträge zu liefern, 
weil die mit dem Aufblühen der Kantschuk= und Sisalkultur und dem fortschreitenden 
Eisenbahnban gegebenen Verdienstmöglichkeiten die Eingeborenen zahlungsfähig 
machten. Die Zentralbahn wurde unter Graf Götzen von dem Reichstage bewilligt. 
Um die Eisenbahn bewilligt zu erhalten, mußte der Landfriede à tout prix gewahrt 
bleiben. Es sollte kein Schuß fallen. In den Kolonien aber muß jedes Aufstandsgelüst 
im Keime erstickt werden, wenn es sich nicht zu einem katastrophalen Aufstande aus- 
wachsen soll. 
Wenn demnach die Periode Götzen mit dem großen Aufstande des Südens der 
Kolonie abschloß, so war das neue System daran nicht unschuldig: einmal die Sparsamkeit, 
die keine Mittel für eine feuersichere Anlage und eine Befestigung der Innenstationen 
hatte, sodann die der Eisenbahn zuliebe kategorisch geforderte Friedensliebe der lokalen 
Verwaltungschefs, die vielfach Gewehr bei Fuß zusehen mußten, wie sich Widersetzlichkeit 
ausbreitete und im geheimen organisierte. 
So konnten die Jahresberichte rühmen, daß kriegerische Expeditionen größeren 
Stils nicht nötig wurden. Tatsächlich sind von 1902 bis 1905 auch nur kleinere Straf- 
züge zu verzeichnen, von denen allenfalls die des Oberleutnants Freiherrn v. Reitzenstein 
im Bezirk Kilimatinde — entstanden aus Angriffen gegen einen als überflüssig auf- 
gegebenen und abmarschierenden Militärposten! — und des Hauptmanns von Beringe 
gegen den Muesi Kisabo von Urundi, Eiwähnung verdienen. 
Im übrigen war die Periode Götzen nicht unfruchtbar; die Weiterentwicklung der 
Kolonie war bis zum Ausstande gedeihlich, und eine Reihe von Maßnahmen haben sich 
für die Daner bewährt. Nicht behanpten kann man das von dem überreichen und phan- 
tastischen Ausban der Forstverwaltung, die unproduktiv blieb und zurückgeschnitten 
werden mußte. Auch die Kommunalverbände hatten zu klagen. Es wurde bei dem 
Gonvernement ein eigenes Referat für Kommnnalangelegenheiten gegründet und da- 
durch ihnen ein scharfer, oft allzu scharfer Zügel angelegt. Daß das Rechnungswesen 
unter energische Kontrollen gebracht wurde, entsprach der Tendenz dieser Periode, 
deren oberster Leitsatz „Sparen“ war; auch die den Kommmuen anbefohlene Ansamn lung 
sehr reicher Notstandsfonds für trübe Zeiten, die aus demselben Gesichtspunkte heivor- 
ging, mag gelten; aber daß man den Gemeinden eine große Anzahl von Ausgaben 
auferlegte, die bisher der Landessiskus getragen hatte und ihrem Wesen nach tragen 
mußte, ging zu weit. Dabei erweiterten die Kommunen ihre Aufgabe beständig selbst. 
Abgesehen von den städtischen Aufgaben der Müllabfuhr, Straßenbelenchtung, Wasser- 
leitung sowie dem Schlachthof= und Marktwesen, legten sie Schulen und Aussätzigenheime 
an und bauten große Uberlandstraßen mit Fähren und Büücken. In Daressalam wurde 
sogar eine Kommunalsparkasse gegründet, deren Einlagen 1902 bis 1906 von 180 000 
auf 630 000 Rupie — allerdings übeiwiegend emopäischer Sparer — stiegen. Von 
diesen Einlagen wurden Hypotheken auf städtische Giundstücke gegeben, so daß die 
private Bautätigkeit eine bedeutende Auregung ersuhr. 
Bewährt hat sich die nach anstralischem Muster gebildete Landpolitik der Regierung.
	        
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