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keit zum Richteramt in einem Bundesstaat erlangt haben müssen. Auch erhalten
sie eine Kaiserliche Bestallung. Im übrigen haben, wie im Kolonialbeamtengesetz
ausdrücklich ausgesprochen ist, sämtliche zur Ausübung der Gerichtsbarkeit be-
rufenen Beamten ihr Amt als unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Richter
auszuüben. Ordnungsstrafen können gegen sie nur vom Reichskanzler verhängt
werden.
Die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft ist mit Rücksicht auf die Personal-
verhältnisse in den Schutzgebieten gegenüber derjenigen in der Heimat stark ein-
geschränkt, so daß es möglich ist, ihre Geschäfte durch vom Gouverneur bestimmte
Verwaltungsbeamte nebenher erledigen zu lassen.
Außer den richterlichen Beamten und Staatsanwälten wirken in der Rechts-
pflege der Schutzgebiete auch Rechtsanwälte und Notare in ähnlicher Weise wie in
der Heimat mit. Uber die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bestimmen die Be-
zirksrichter. Die Zulassung ist widerruflich. Juristische Vorbildung wird gesetz-
lich nicht gefordert. Tatsächlich sind aber fast sämtliche Anwälte in den Schutz-
gebieten im Besitz der Befähigung zum Richteramt und die übrigen wenigstens
Referendare gewesen. Man kann ihnen daher unbesorgt auch wichtigere Rechts-
angelegenheiten anvertrauen. Die Notare werden aus der Zahl der älteren
Rechtsanwälte vom Reichskanzler bestellt. Zu bemerken ist, daß ihre Zuständig-
keit sich auf die Beurkundung von Rechtsgeschäften unter Lebenden beschränkt.
Für das Verfahren in bürgerlichen Streitsachen, Konkurssachen, Sachen der
freiwilligen Gerichtsbarkeit und Strafsachen sowie für das anzuwendende materielle
Recht sind im allgemeinen die Vorschriften der Reichsgesetze und — abgesehen vom
Strafrecht und Strafverfahren — auch die preußischen im bisherigen Geltungs-
bereiche des Allgemeinen Landrechts in Kraft stehenden Gesetze maßgebend. Es
finden also in den Schutzgebieten die Zivilprozeßordnung, die Strafprozeßordnung,
die Konkursordnung, das Reichsgesetz und preußische Gesetz über die freiwillige
Gerichtsbarkeit, das Bürgerliche Gesetzbuch, Handelsgesetzbuch, die Wechselordnung,
das Gesetz über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, das Genossenschafts-
gesetz, das Haftpflichtgesetz usp. Anwendung. Nach einer für die Praxis sehr
wichtigen gesetzlichen Bestimmung sind jedoch Vorschriften ausgenommen, welche
Einrichtungen und Verhältnisse voraussetzen, an denen es für das Schutzgebiet
sehlt. Durch Kaiserliche Verordnung können diese Vorschriften näher bezeichnet
und andere an ihre Stelle gesetzt werden. Sodann kommen noch die Abweichungen
in Betracht, welche auf dem Schutzgebietsgesetz und dem Gesetz über die Konsular-
gerichtsbarkeit beruhen. In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist das Verfahren
insofern wesentlich vereinfacht, als für sämtliche Streitsachen und in beiden In-
stanzen die im Verfahren vor den Amtsgerichten maßgebenden Vorschriften der
Zivilprozeßordnung Anwendung finden, so daß insbesondere auch jeder Anwalts-
zwang fortfällt und der Richter stets in der Lage ist, den Parteien an die Hand
zu gehen. Ferner werden die Zustellungen und Zwangsvbollstreckungen durch den
Richter betrieben. Gerichtsvollzieher wirken, abgesehen von Kiautschou, nicht mit.
Eine Berufung ist nur zulässig, wenn der Wert des Streitgegenstandes 300%
übersteigt. Im Strafverfahren fällt die Voruntersuchung und Erhebung der An-
klage fort. Zum Einschreiten gegen strafbare Handlungen und zur Anstellung der er-
sorderlichen Ermittelungen im Vorverfahren ist nicht die Staatsanwaltschaft,
sondern der Bezirksrichter berufen. Die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft be-
schränk“ sich auf eine Mitwirkung bei der Hauptverhandlung in erster Instanz, bei
der Einlegung von Rechtsmitteln und dem Verfahren zweiter Instanz. Anzeigen
über strafbare Handlungen sind daher in den Schutzgebieten stets an die Bezirks-
richter zu erstatten. Der in der Heimat für die Verhandlungen vor den Schöffen-
gerichten geltende Grundsatz, daß das Gericht den Umfang der Beweisaufnahme
bestimmt, ist auf alle Strassachen ausgedehnt. Auf der anderen Seite ist auch das.