Full text: Deutschland als Kolonialmacht.

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der Usambara= oder Kilimandjarobahn. Die Frage — Verlängerung 
oder Nichtverlängerung bis zum Victoriasee — ist aber zunächst falsch gestellt, 
denn man kann zwar verschiedener Meinung darüber sein, ob es nützlich und notwendig 
ist, mit der Bahn bis ans Seegestade zu gehen, aber es ist kein Streit darüber möglich, 
daß die Bahn über ihr jetziges Ende, d. h. über das Merngebiet hinaus, 
verlängert werden muß. Diese Sache häugt mit den allgemeinen Anschauungen über 
die weiße Besiedlung von Ostafrika zusammen. Unter Dernburg als Staatssekretär 
und dem Freiherru v. Rechenberg als Gounverneur von Ostafrika ist der Besiedlungsfrage 
nicht die nötige positive Aufmerksamkeit geschenkt worden. Beide Männer waren ohne 
Zweifel bemüht, auf ihre Art und nach ihrer Uberzeugung der Zukunft der Kolonie 
zu dienen, aber sie wurden dabei dem objektiv nationalen Standpunkte nicht gerecht, 
der von vornherein die Stäikung und Ausbreitung des deutschen Volkstumes unter 
deutscher Flagge über See überall wo es klimatisch und wirtschaftlich möglich ist, 
als eine Aufgabe obersten Ranges erscheinen läßt. Jetzt besteht auf seiten der Kolonial- 
verwaltung im Prinzip Bereitschaft, so zu verfahren, aber es hat sich ein Streit über 
die Besiedlungsmethode erhoben: ob Klein= oder Großwirtschaften zu fördern seien, 
und dieser Streit verzögert unnütz die Entscheidung der Eisenbahnfrage im Norden. 
Jenseits des Merngebietes beginnt eine Weidesteppe von ähnlicher Art wie in den 
meistbegünstigten Teilen Südwestafrikas, nur daß die Futtergräser noch dichter und höher 
stehen als dort. Das Land ist wasserarm, zum Teil dem äußeren Anschein nach wasserlos, 
aber unsere südwestafrikanischen Erfahrungen lehren uns, es trotzdem nach seinem wahren 
Werte zu schätzen. Mitten hindurch geht die ostafrikanische Grabensenke, die in ihrem 
nördlichen Teil als typischer Grabenbruch, weiter südlich nur einseitig als sogeannte 
Bruchstufe ausgebildet ist. Die Sohle des Grabens liegt so tief, daß sie klimatisch für 
Europäer zum dauernden Aufenthalte ungeeignet ist; der jenseitige westliche Grabenrand 
aber und die höheren Landschaften zwischen dem Graben und dem Vietoriasee, Faku, 
Turu, Iramba, ferner das sogenannte Gebiet der Riesenvulkane, nördlich von Iraku, 
und diesseits des Grabens die große Landschaft Frangi — sie sind sämtlich nicht nur 
als Weidefarmland, sondern teilweise auch für intensive Kultur, subtropische Land- 
wirtschaft und Bodenbebanung mannigfaltigster Art zu brauchen. Diese ganze Region 
muß unbedingt durch Fortsetzung der nördlichen Bahnlinie vom Mern aus in der Richtung 
nach Westen — Irangi vielleicht eher durch eine Abzweigung von der Zentralbahn — 
für die Besiedlung eröffnet werden. Es ist das größte und, soweit sich bisher urteilen 
läßt, wohl das zukunftsreichste unter den Ansiedlungsgebieten, die in Ostaftika für die 
weiße Rasse in Frage kommen, und der leidige Streit über Großsiedlung und Klein- 
siedlung sollte hier doch baldmöglichst aus den Maßnahmen zur praktischen Inangriff. 
nahme der Kolonisation entfernt werden. An Kleinsiedlung in dem Sinne, daß, wie 
in Europa, ein bäuerlicher Landwirt kleinsten Maßstabes mit seiner eigenen und seiner 
unmittelbaren Angehörigen Handarbeitskraft einige Hektar Land bestellt, kann in Ost- 
afrika doch kein verständiger Mensch denken, und ob man Großbauernwirtschaften mit 
schwarzen Arbeitskräften im Unterschied von noch größeren Farm= oder Pflanzungs- 
betrieben als Kleinsiedlungen bezcichnen will oder nicht, ist ein Streit um Worte. Man 
baue die Bahn und gebe Freiheit der Entwicklung; dann werden sich die gesunden Be- 
triebsformen schon von selber herausbilden. Auch die eventuelle Fortsetzung der Nord- 
bahn bis an den Victoriasee ist eine Sache, die nicht jetzt schon entschieden zu werden 
braucht. Von Turu bis zum See ist es noch eine ziemlich weite Strecke, und sie führt 
überwiegend durch Land, das wegen seiner tieferen Lage nicht besiedelbar 
ist und auch sonst keinen Vergleich mit den östlicher gelegenen Hochländern aushält. 
Existiert zukünftig eine Bahnverbindung von Tabora zum Sec, so ist es vielleicht besser, 
dann von Turu durch den nördlichen Teil von Uniamwesi nach Tabora zu gehen. Viel- 
leicht bilden sich aber auch Verhältnisse heraus, die dic direkte Verbindung Tanga— 
Victoriasee erstrebenswerter erscheinen lassen als Tanga—Tabora. Abzulehnen ist 
nur das Argument, das mißverständlicher- oder unverstandenerweise als „national“ 
  
 
	        
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