Full text: Deutschland als Kolonialmacht.

   
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Machtbefugnissen ausgestattet ist, sich Stimmen für die kaufmännische Form der Koloni- 
sation erheben, so richten sie sich an die falsche Adresse. Die erfolgreiche Siedlungs- 
politik dieser Gesellschaft ist nicht das Verdienst kausmännischer Organisation, sondern 
der großzügigen staatsmännischen Maßnahmen des Gründers Cecil Rhodes, der, im 
Gegensatz zum kaufmännischen Geist, statt Dividenden herauszuwirtschaften, alle Mittel 
vielmehr auf Erschließung des Landes, hauptsächlich durch Eisenbahnban, verwandte. 
Das noch jetzt so beliebte Anrufen des kaufmännischen Geistes zur Ausrottung bureau- 
kratischer Schwerfälligkeit der Kolonialbeamten zeugt von bedenklicher kolonialhistorischer 
Unkenntnis. Nicht kaufmännischer Geist ist es, der unseren Kolonialbeamten neben 
ihrer juristischen Vorbildung nottut, sondern wirtschaftspolitische Einsicht, die immer 
noch am besten durch die ja auch bereits gepflegten praktischen und theoretischen volks- 
und weltwirtschaftlichen Studien erzielt wird. 
Das Beispiel der Niederlande im 19. Jahrhundert zeigt, daß nicht jeder Staat 
aus sich selbst herans eine Kolonialpolitik höherer Art entwickelte. Zunächst wirkte die 
Sorge der Auseinandersetzung mit England hemmend, das für die Kosten seiner Zwangs- 
verwaltung Entschädigung forderte und außerdem 1819 unter Sir Stamfford Raffels 
die von Holland beanspruchte Insel Singapore besetzte. Im Vertrag vom 17. März 1842 
einigte man sich endlich, und England erhielt das später so wichtige Singapore. Im 
gleichen Jahre wurde mit 37 Millionen fl. eine neue Handelsgesellschaft ins Leben 
gerufen und ihr das Monopol der Lieferungen und Verschiffungen für das Gonverne-= 
ment erteilt. Sie sollte vor allem auch den britischen Zwischenhandel lahmlegen. Im 
übrigen ließ man den Handel mit geringen Ausnahmen frei. Die finanziellen Ergebnisse 
der Kolonialwirtschaft entwickelten sich aber der ständig mit Geldsorgen kämpfenden 
und nach dem Abfall Belgiens 1830 zeitweise vom Staatsbankerott bedrohten heimischen 
Regierung nicht schnell genug. Um recht schnelle und große Gewinne zu erzielen, verfiel 
man auf das berüchtigte „Stelsel van Cultures“, das einfach den Rückfall in das System 
der Holländisch-Ostindischen Kompagnie bedenutet. 
Es wurde den Eingeborenen überlassen, an Stelle der Laudrente ein Fünftel 
ihres Landes an das Gouvernement abzutreten und statt der üblichen 60 Tage Herren- 
dienst die erforderlichen Arbeiter für das Regierungsland zu stellen, das diese durch 
Unternehmer bewirtschaften ließ. Im übrigen erhielten die Residenten — auf Java 
waren 20, jetzt 22 Residenten den eingeborenen Fürsten in einer Art Vormundstellung 
beigegeben — die Anweisung, die Zwangslieferung der Eingeborenenprodukte im 
Maßstab von 2 fl. pro Kopf der Bevölkerung durchzuführen. Dazu war z. B. Ein- 
ziehung von einem Drittel der Reisernte nötig. Die Produkte erhielten die Eingeborenen 
nur mäßig bezahlt, und die Regierung erzielte, wie z. B. beim Kaffee, das Vier- bis 
Fünffache in der Heimat. Die Landrente wurde zudem nicht abgeschafft, sondern, wo 
durchführbar, weiter erhoben. Um die Erträgnisse recht groß zu gestalten, wurden ein- 
geborene Große und Beamte durch Prämien und Prozente je nach der Menge der ab- 
gelieferten Produkte an der Ausbeute beteiligt. 
Daß dieses Kultursystem zu einer Erpressungswirtschaft schlimmster Art führte, 
läßt sich leicht denken, und es ist ein Beweis für die unerschöpfliche Naturkraft Javas 
und seiner Bevölkerung, daß sie dabei nicht zugrunde gingen. Das System hat sogar 
dem Mutterlande lange Zeit recht viel eingebracht. Allein die Uberschüsse der Jahre 1835 
bis 1837 berechnet man auf insgesamt 64 Millionen fl., von denen 50 in den holländischen 
Schatz flossen. Die Verfassungsänderung im Mutterlande vom Jahre 1848, die im noch 
jetzt gültigen Ginndgesetz von 1848 die autokratische Kolonialregierung besonders hin- 
sichtlich der Finanzen in eine konstitutionelle verwandelte und neue Regierungs- 
ordnungen festlegte, brachte im Kultursystem zunächst keine Veränderung hervor. Man 
kann wohl mit Recht annehmen, daß die in den sechziger Jahren einsetzenden Ande- 
rungen hauptsächlich den Anklageschriften Multatulis und der notwendigen Rücksicht 
auf das Beispiel der Engländer in den benachbarten britischen Besitzungen zu danken 
ist. Nur die Sklaverei war in Aussührung einer Bestimmung des Grundgesetzes an 
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