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Mächte als Mitbewerber auf. Das aufstrebende Japan nimmt als Frucht seines Sieges
über China 1894 Formosa. Als es sich auch der Liaotunghalbinsel bemächtigen will,
fallen ihm Rußland, Frankreich und merkwürdigerweise Deutschland in die Arme.
Rußland erhält bei dieser Gelegenheit die Halbinsel für sich und das klug beobachtende
England setzt sich in Waihaiwai — aus Versehen auch einmal das schlechteste Stück
erwischend — fest. Deutschland, nicht gewillt, abseits zu stehen, erwirbt 1897 Kiautschon.
Das gleiche Jahr bringt das überraschende Auftreten der Vereinigten Staaten in der
kolonialen Arena, die trotz japanischen Widerspruches Hawai in Besitz nehmen. Im
folgenden Jahre fügen sie nach glücklichem Kriege gegen Spanien die Philippinen, Kuba,
Portoriko und 1900 Guam hinzu. Die Teilung Samoas um die Jahrhundertwende gibt
ihnen ebenfalls Gelegenheit zu einem kleinen Erwerb. Der Hauptanteil der Inseln
kommt an Deutschland; England wird durch einige Salomonsinseln von Deutschland ent-
schädigt. Letzteres hat 1898 seinem Südseebesitz durch Kauf von dem entmutigten
Spanien die Karolinen, Marianen und Palanuinseln hinzufügen können. Japan,
das die ihm zugefügten Demütigungen nicht verwinden kann, und England, das Ruß-
lands innerasiatisches Vordringen in Indien und Persien unangenehm zu empfinden
beginnt, schließen 1902 ein gegen Rußiand gerichtetes Defensivbündnis ab. Von Eng-
land gedeckt, geht Japan 1904 nach starken Rüstungen gegen Rußland allein vor und erobert
in siegreichem Kriege die Liaotunghalbinsel und das zwischen beiden Mächten strittige
Korea. Im Schauplatz des Krieges, der Mandschurei, setzen sich beide Mächte trotz
Protestierens des chinesischen Besitzers fest. Das englisch-japanische Bündnis wird
1905, diesmal mit der Spitze gegen die Vereinigten Staaten, erneuert. Zur erwarteten
Abrechnung Japans mit der Union kommt es vorläufig infolge finanzieller und wirt-
schaftlicher Sorgen der neuen ostasiatischen Großmacht nicht. Japan muß seine Rüstungen
einschränken, und die Union setzt den Bau des strategischen Panamakanals fort.
Unablässig ist England an der Erweiterung seines indischen Reiches tätig. Mit
der Wegnahme Belutschistans rückt es unmittelbar an die persische Grenze. Eine Ex-
pedition dringt 1904 bis Lhasa vor, um den englischen Einfluß auch nach Tibet ans-
zudehnen. Siam, zwischen England und Frankreich eingekeilt, muß sich von beiden
Nachbarn unanfhörlich Grenzregnlierungen zu deren Gunsten gefallen lassen. Erst
Japans Einfluß verhindert weitere Schröpfungen. Der Streit mit Rußland und Persien,
ebenso das deutsche Bagdadbahnunternehmen veranlassen England, sich im Persischen
Golf festzusetzen. Die Niederlagen der Türkei gegen die Balkanmächte ermöglichen
England das langersehnte Koweit, den Schlüssel Mesopotamiens, zu erwerben und
sich noch andere Vorteile am Persischen Golf zu sichern. Erst jetzt entschließt sich Deutsch-
land, im Interesse seines Unternehmens über Englands Vorgehen mit diesem in Unter-
handlungen zu treten. Ende Juli 1913 wird als jüngstes kolonialpolitisches Ereignis
das bisherige Protektorat Sansibar von England als Kronkolonie einverleibt.
Kolonialpolitische Ergebnisse.
Vergleich der französischen und englischen Kolonialpolitik.
Das endliche Unterliegen Frankreichs im kolonialpolitischen Ringen mit England
kann wahrlich nicht auf größere natürliche Kraft Großbritanniens zurückge führt werden.
Zweifellos waren sogar dem durch Ludwig XI. zu einem einheitlich monarchischen
Staatswesen umgeschaffenen Frankreich die besten Möglichkeiten zur Erzwingung
der weltpolitischen Führung gegeben. Seine Nachfolger haben dies wohl gefühlt, aber
ihre Kräfte in allen möglichen Händeln ziellos vergeudet. Erst als mit und seit Heinrich IV.
die politische Leitung Frankreichs sich in geordneten Bahnen bewegte, trat seine natür-
liche Uberlegenheit über die anderen Kontinentalstaaten, das habsburgische Kaisertum
mit eingeschlossen, hervor. An Bevölkerungszahl standen ihm vielleicht Italien und bis
zum Dreißigjährigen Kriege Dentschland gleich, beide aber durch innere Zerrissenheit
gelähmt. Wie groß seine Bevölkerung um 1600 gewesen ist, wissen wir nicht genan,
es kann aber nicht bezweifelt werden, daß Frankreich den 4 Millionen Briten mindestens
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