Full text: Deutschland als Kolonialmacht.

  
    
  
  
   
  
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weitere Millionen wagen. Hier ist das beteiligte Kapital für sich und die Gesamtheit 
des Volkes in die Bresche gesprungen und wird sich, reichen die jetzigen Kolonien nicht 
aus, für neue Erwerbungen einsetzen. Für ihre Fabrikate braucht die Industrie wieder 
Absatzgebiete außerhalb des Reiches, und hat sich diese im Laufe weniger Jahrzehnte 
auf der ganzen Erde zu schaffen verstanden. Ungeheuer ist der Anfschwung des Handels 
und Verkehrs in Ausnutzung ihrer Erfolge. Deutsche Erzeugnisse der Montan-, elektrischen, 
Maschinen= und Textilindustrie werden heute auf deutschen Schiffen in alle Weltteile 
verschickt. Unsere Kolonien vermögen davon nur einen verschwindenden Teil auf- 
zunehmen. Die Hauptabsatzgebiete bilden fremde Staaten und nicht zum wenigsten 
Kolonialgebiete englischer Zunge. Ebenso ist die Entwicklung der deutschen Schiffahrt 
fast allein auf den Verkehr mit fremden Ländern begründet. Die kolonialafrikanischen 
Dampferlinien spielen dazwischen nur eine geringe Rolle. Es kann keinem Zweifel 
unterliegen, daß sich der wachsende Wohlstand des deutschen Volkes auf die Gewinne 
der deutschen Exportindustrie und der Uberseeschiffahrt grünndet. An diesen Gewinnen 
beteiligen sich die Arbeiter, deren Löhne stärker gestiegen sind als die Preise ihrer Be- 
dürfnisse, in gleichem Maße wie die Unternehmer. Schließlich ebenfalls der Staat, 
denn die erhöhte Stenerkraft gibt ihm die Mittel zu sozialen Arbeiten, Verstärkung seiner 
Machtstellung und zu höheren Besoldungen in die Hand. Alles zusammen führt natürlich 
auch zu sichtbaren Zeichen des vorhandenen Wohlstandes in Form höherer Lebens- 
haltung. Hat sich aber einmal ein Volk, so wie das deutsche, an gute äußere Verhältnisse 
gewöhnt, so muß ihm ein bleibender Rückschlag zum Verhängnis werden. Von Rück- 
schlagsmöglichkeiten — vorübergehende, wie sie z. B. das Schwanken der Weltkonjunktur 
bedingt, seien ausgeschaltet — ist aber Deutschland genngsam bedroht. Jeder kennt 
unsere politisch gefährdete Lage im Herzen Europas, und das deutsche Volk hat darum 
allezeit gern die Mittel zum Schutz der Grenzen bewilligt. Auch für die Notwendigkeit 
des Schutzes zur See gegen das meerbeherrschende England konnte Kaiser Wilhelm II. 
rasch das Verständnis im Volke erwecken. So hat sich Deutschland gegen jeden direkten 
Angriff durch ein Landheer, stark genug zur Kriegsführung auf zwei Fronten, und 
durch eine Flotte, befähigt zu nachhaltiger Defensive gegen die größte Seemacht der 
Welt, wirksam genug gesichert. Das Hemd zum Schutz des deutschen Volkskörpers ist 
jetzt aus stärkstem Stoff, womit sich zahlreiche Lente in der Heimat gern zu beruhigen 
pflegen. Sie vergessen, um beim Bilde zu bleiben, daß das Hemd die edlen Organe 
gegen rauhe Winde nicht allein zu schützen vermag. Deutschlands Rock, d. h. seine über- 
seeische Machtstellung, kann vorläufig noch nicht zur Ergänzung des Schutzes dienen, 
da er leider zurzeit noch nicht fertiggestellt ist. 
Im Vergleich mit der geringen Bedentung unserer Kolonien als Absatzgebiete 
bilden die englischen und französischen einen starken Rückhalt ihres mutterländischen 
Uberseehandels. Ungeachtet der Nachteile der französischen kolonialen Absperrpolitik 
zeigt diese Tatsache doch auch, wie sicher sich Frankreichs Handelspolitik anderen Nationen 
gegenüber fühlt. Beantworteten diese Frankreichs Politik mit ähnlichen Maßnahmen, 
so könnte dieses sie von seinen Kolonien ganz ausschließen, und würde sich mit dieser 
Isolierung bei dem Umfang und der Bedentung seines Kolonialreiches handelspolitisch 
noch immer behaupten können. Dentschland kann sich nicht einmal zollpolitische Be- 
günstigung seines kolonialen Handels gestatten; es ist vorläufig gezwungen, seine Kolonien 
als Zollausland zu behandeln. Nicht abzusehen wären die wirtschaftlichen Folgen, 
wenn z. B. das englische Kolonialreich handelspolitische Benachteiligung in den deutschen 
Kolonien mit Zollrepressalien beantworten würde. Dem Vorteil im eigenen Kolonial- 
handel durch Ausschluß englischer Konkurrenz würde ein zehnfacher Verlust im 
Handel mit englischen Kolonien gegenüberstehen. Wie schwach die überseeische handels- 
politische Stellung Deutschlands ist, hat ja der kanadische Zollkrieg von 1902 bis 1910 
zur Genüge bewiesen. Entgegen dem bestehenden Meistbegünstigungsvertrag räumte 
damals Kanada England Vorzugszölle ein. Uber dem Verlangen Deutschlands nach 
Gleichberechtigung mit England brach der Zollkrieg aus, den Kanada mit 33½ Proz. 
 
	        
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