Full text: Deutschland als Kolonialmacht.

  
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mehr wie andere Völker über geistiges Proletariat, obgleich der Deutsche weniger wie 
Slawen und Romanen zu geistiger Proletariatsbildung neigt, sondein, ans wahrem 
Wissenstrieb sich bildend, nur in vergeblichem Brotkampf versinkt. Diese Kräfte müßten 
wir im Anslandsdienst verwenden können, statt obendrein sehen zu müssen, wie gerade 
der beste Teil von ihnen im Dienste weniger befähigter Nationen verloren geht. Im 
Inneren — wie oft gewünscht — durch eine neue Anzahl schlecht bezahlter Stellen 
tünstlich Raum zu schaffen, hieße eine Degeneration züchten und wäre volkswirtschaftlich 
undenkbar. Noch törichter sind aber die Klagen über zu großen Andrang zum Studium. 
Dieser stellt doch der geistigen Fruchtbarkeit eines Volkes das beste Zengnis ans. In 
solchem Falle ist Raum schaffen durch den Ubergang zu einer den Machtmitteln ent- 
sprechenden Offensivpolitik das notwendige Erfordernis für ein kräftiges Volk. 
Wenn wir ehrlich bekennen, in weltpolitischer Machtbetätigung noch zurück zu sein, 
so trifft dies keineswegs auf die Fähigkeiten unseres Volkes zu imperialistischer Ent- 
wicklung zu. Die besten Vorbedingungen sind ja durch die enorme Entfaltung von 
Handel, Industrie und Schiffahrt gegeben. Aber auch die kolonisatorischen Leistungen 
sind im Vergleich zu den natürlichen Verhältnissen unserer Kolonien und der kurzen 
Zeit kolonialer Betätigung — ein Menschenalter — bedeutend. Im Verhältnis zu den 
21 Milliarden des deutschen Außenhandels will der koloniale Gesamthandel (außer 
Kiautschon) von 270 Millionen nicht viel besagen; mehr aber, daß diese Zahl eine Ver- 
doppelung im Laufe der letzten zehn Jahre bedentet. Mit Stolz nuß nns aber die Ent- 
wicklung Tsingtaus erfüllen, dessen Handelsverkehr von 20 Millionen Mark 1902 auf 
ea. 180 Millionen Mark 1912 gestiegen ist. Dieser jüngste ostasiatische Hafen steht im 
Range unter den dortigen Häfen bereits an sechster Stelle. Wie die Ordnung und 
Straffheit der Verwaltung in den dentschen Kolonien allgemeine Anerkenunng findet, 
ist schon im Vergleich mit England erwähnt worden. Die bisherigen Ansätze zur Selbst- 
verwaltung haben gezeigt, daß unsere Ansiedler in reiser Behandlung ihrer Angelegen- 
heiten nicht hinter den Angelsachsen zurückstehen. Nur das Verständnis für die sprachliche 
Durchdringung einer Kolonie bleibt unsere Achillesferse, und will, zumal in Ostafrika 
mit seiner begnemen Snaheliverkehrssprache, nicht recht gedeihen. Des langen und 
breiten wird bei uns immer noch über den kolonialen Assessorismus geklagt, und doch 
wird jeder, der die letzten zehn Jahre Kolonialverwaltung mit eigenen Angen 
beurteilen lernte, zugeben, daß die hentige Beamtenauswahl und die Fähigkeit kolonial- 
wirtschaftlichen Denkens unter den Verwaltungsbeamten große Fortschritte aufweist. 
In gleicher Entwicklung befindet sich die Geschicklichkeit in der Eingeborenenbehandlung 
und Erziehung. Sie erfordert eine eigenartige, theoretisch kaum zu definierende Mischung 
von Diplomatie und Energie, stets verbunden mit einem dem Gefühle des Eingeborenen 
angepaßten Gerechtigkeitsempfinden, und geht Kolonisten und Beamten rasch in Fleisch 
und Blut über. Die Lehren des großen südwestafrikanischen Kricges sind auf fruchtbaren 
Boden gefallen. Dieser Feldzug hat auch die Kmmst kolonialer Kriegführung, für die 
der Deutsche jedenfalls besser beanlagt ist als der Engländer, anf eine hohe Stufe gebracht. 
Nur die Franzosen dürften darin mit ihren alterfahrenen Kolonialtruppen den Vorrang 
behanpten. Die Mischehenfrage hat gezeigt, daß das deutsche Siedlertum von starkem 
Rassenbewußtsein erfüllt ist und mit stolzem Nationalgefühl sein Deutschtum vertritt. 
Am Uberseedeutschtum, das sich auch anßerhalb unserer Kolonien kräftig auf sich 
selbst besiunt, liegt wahrlich die Schuld nicht, wenn unsere Weltpolitik nicht vorwärts 
will. Das deutsche Volk selbst ist es, das zum großen Teil bis in die leitenden Kreise 
hinauf seine weltpolitischen Aufgaben noch nicht verstanden hat. Der Deutsche 
leidet an einer gewissen Schwerfälligkeit kontinentalen Denkens, die ihm die Einsicht 
erschwert. So beruht die unser Zeitalter charakterisierende Kriegsschen zweifellos auf 
der Anschauung, daß das wohlhabend gewordene Vaterland viel zu verlieren, aber 
nichts mehr zu gewinnen hätte. Dies ist gänzlich unhaltbar. Allerdings würde Deutsch- 
land durch einen unglücklichen Krieg mit England um Jahrzehnte zurückgeworfen,
	        
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