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Dieses System der Kolonialtruppen hat sich in Frankreich bewährt. Es bietet sowohl
die: Möglichkeit, eine größere im Kolonialdienst vorgebildete Truppenmacht ständig
schlagsertig zu erhalten, als auch manche im Kriege vorzüglichen, für den Frieden aber
weniger geeigneten Elemente dauernd an die Fahne zu fesseln.
In England mit seinem für Heimat und Kolonialdienst in gleicher Weise ver-
pflichteten Söldnerheer liegen die Verhältnisse anders als in den Ländern der allgemeinen
Heerpflicht. Die englische Armee verteilt sich von Haus ans auf Mutterland und Kolonien,
von welch letzteren der Löwenanteil auf Indien entfällt. Wo angängig, wie in Indien
und Agypten, rekrutieren sich die Mannschaften zum Teil ans Eingeborenen, die auch
zu Unteroffizieren und Offizieren aufsteigen können. Stets aber sind ihnen weiße Offi-
ziere und Unteroffiziere in übergeordneter Stellung beigegeben. Damit ist den eng-
lischen Offizieren und Unteroffizieren reichlich Gelegenheit zum Sammeln von kolonialen
Erfahrungen gegeben.
Außer den Abzweigungen seitens der regulären Armee des Mutterlandes, besitzen
die größeren englischen Siedlungskolonien zu ihrem Schutze noch eigene Milizen. Zu
einem ernsten Kriege erscheinen diese jedoch sämtlich nicht geeignet. Selbst in Anstralien,
das mit Rücksicht auf die japanische Gefahr für den Milizdienst die allgemeine Wehr-
pflicht eingeführt hat, sieht dieser Dienst, verglichen z. B. mit Schweizer Verhältnissen?),
mehr wie eine Spielerei ans. Im Kriegsfall sind im übrigen Mutterland und Kolonien
zu gegenseitigem Schutze verpflichtet, eine Anordnung, die wir im Burenkriege haben
in Wirksamkeit treten sehen. Ebenso kämpften anläßlich des Boxcraufstandes indische
Truppen in China mit. Die in diesen Feldzügen zutage getretenen Mängel haben
dann eine neue Heeresorganisation zur Folge gehabt, die ein rasches Hinüberwerfen
des größten Teiles der englischen Armee auf jeden überseeischen — auch europäischen —
Kriegsschauplatz ermöglichen soll.
Auf einem europäischen Kriegsschauplatz wird jedoch der englischen Armee auch
in ihrer neuen Verfassung bei ihrer geringen Stärke (rund 160 000 Mann) den heutigen
Millionenheeren der enropäischen Großstaaten gegenüber nur eine nebensächliche Be-
dentung zukommen. Dagegen kann sie auf den kolonialen Kriegsschauplätzen eine aus-
schlaggebende Rolle spielen, zumal eine übermächtige Flotte ihr stets den sicheren See-
trausport verbürgt. In dieser Tatsache liegt bei einem ctwaigen englisch-deutschen
Kriege fraglos eine große Gefahr für unsere Kolonien. Mindestens mit einem vor-
übergehenden Verlust derselben müssen wir stets rechnen. Ihr endgültiges Schicksal
wird jedoch auf dem enropäischen Kriegsschanplatz entschieden. Fürst Bismarck hat
einst das Wort geprägt: „Kolonien können auch vor den Toren von Metz verteidigt
werden“. Dies gilt sinngemäß auch für England, und zwar um so mehr, je mehr es
sein Schicksal mit demjenigen einer Landmacht verbunden hat, wie dies bei den bestehenden
Bündnisverhältnissen gegenwärtig der Fall ist.
Immerhin darf der koloniale Kriegsschanplatz, auch wenn auf ihm nicht die Ent-
scheidung fällt, weder im Interesse der Kolonien noch des Deutschtums überhaupt als
Nebensache betrachtet werden. Mit erfolgreicher Selbstverteidigung wird sich jede
von einem etwa besiegten Deutschland abzutretende Kolonie Anerkennung der deutschen
Sprache und Schule, mithin ihres deutschen Charakters, erkämpfen können. Ein anch
mur vorübergehender Verlust wird dagegen das junge Deutschtum, zumal bei der immer
noch mangelhaften nationalen Festigkeit unserer Landslente, ernstlich gefährden. Schließ-
lich wird das deutsche Ausehen unter den Eingeborenen lediglich durch die kolonialen
Kriegsergebnisse bestimmt. Ich glaube, diese Folgen werden in der Heimat zurzeit
noch nicht genügend gewürdigt. Z
Einen wesentlichen Schritt auf dem Wege der Nutzbarmachung der in den Kolonien
vorhandenen Wehrkraft für die Selbstverteidigung der Schutzgebiete bedentet das Wehr-
*) Selbst diese bestansgebildete Milizarmee hat neuerdings die Schattenseiten des Miliz-
wesens genugsam dargetan.