Full text: Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechtes.

Einleitung. $ 1. 3 
die Verfassung speziell vorgeschrieben ist. So kommt z.B. die Ver- 
leihung von Eisenbahnkonzessionen und Enteignungsrechten, die Vor- 
nahme von Naturalisationen, die Erteilung prinzipieller Ermächtigungen 
durch die gesetzgebenden Organe vor, obgleich alle diese Akte 
materiell den Charakter von Verwaltungsakten haben. Anderseits 
steht den Verwaltungsorganen nicht bloß die Befugnis zu, 
konkrete Angelegenheiten zu regeln; sie besitzen kraft gesetzlicher 
Ermächtigung auch das Recht, allgemeine für die Untertanen verbind- 
liche Reehtsvorschriften, sogenannte Rechtsverordnungen, also Anord- 
nungen, die ihrem materiellen Inhalte nach Gesetze sind, zu erlassen. 
‚ Dieselbe Verschiebung der prinzipiellen Grenze besteht auch 
zwischen Verwaltungsorganen und Gerichten’. Den Ge- 
richten ist keineswegs die Ausübung der gesamten Rechtspflege zu- 
gewiesen, ihre Tätigkeit beschränkt sich auf zwei Gebiete derselben, 
die Zivilrechtspflege und die Strafrechtspflege Die 
Rechtsprechung dagegen, welche auf dem Gebiete der Verwaltung 
stattfindet, wird durch die Verwaltungsorgane, entweder durch 
die gewöhnlichen Verwaltungsbehörden oder durch besondere Ver- 
waltungsgerichte, ausgeübt. Ja den Verwaltungsorganen sind zum 
Teil sogar Befugnisse der Rechtsprechung eingeräumt, die Gegen- 
stände der Zivilrechtspflege und Strafrechtspflege betreffen. So steht 
in manchen Staaten die Entscheidung privatrechtlicher Streitigkeiten 
auf solchen Rechtsgebieten, wo sich Privatrecht und Polizei berühren, 
z. B. auf dem des Wasserrechtes, Jagdrechtes, Fischereirechtes, den 
Verwaltungsbehörden zu. Die Gemeinde- und Ortspolizeibehörden 
besitzen ein Entscheidungsrecht in Streitigkeiten der selbständigen 
Gewerbetreibenden mit ihren Arbeitern und der Dienstherrschaft mit 
ihrem Gesinde, die Seemannsämter in Streitigkeiten des Schiffsführers 
mit der Schiffsmannschaft. Die Verwaltungsbehörden haben ferner 
das Recht provisorischer Straffestsetzungen bei gewissen Vergehen. — 
Anderseits beschränkt sich die Tätigkeit der Gerichte nicht auf 
die Funktionen der Rechtsprechung, sondern umfaßt auch die so- 
genannte freiwillige Gerichtsbarkeit. Die Akte der freiwilligen Ge- 
richtsbarkeit bestehen teils in einer Mitwirkung bei Begründung von 
Rechtsverhältnissen, teils in Beurkundungen, teils in der Aufsicht 
über Personen, welche fremdes Vermögen verwalten, teils in der 
Verwahrung von Urkunden und Wertgegenständen. Sie sind also 
Handlungen, welche als Ausfluß der fürsorgenden Tätigkeit des Staates 
r die Privatverhältnisse seiner Angehörigen erscheinen und charak- 
terisieren sich ihrem materiellen Gehalte nach als Verwaltungs- 
handlungen. 
... Infolge dieser Verschiebungen, die hinsichtlich der Abgrenzung 
der verschiedenen Gebiete staatlicher Tätigkeit stattgefunden haben, 
sind neben den ursprünglichen Begriffen der Gesetzgebung, 
Verwaltung und Rechtspflege noch anderweite entstanden. Letztere 
knüpfen nicht an den materiellen Inhalt der betreffenden Tätig- 
keiten, sondern an die Organe an, die zu ihrer Ausübung berufen 
? (Vgl. Vierhaus, Gerichtsbarkeit und Verwaltungshoheit. (Literatur.) 
Verw.Arch. 11, 222; Otto Mayer, Justiz und Verwaltung. 1902.] 
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