Full text: Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechtes.

180 Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. $ 68. 
berührt worden. Weder hat eine ausdrückliche Aufhebung derselben 
stattgetunden, noch sind sie für unvereinbar mit der im Reiche be- 
stehenden Gestaltung des Militärwesens zu erachten!. Derartige 
landesgesetzliche Vorschriften bestehen in Preußen, Sachsen und 
aden®. Befugt zur Verkündigung des Belagerungszustandes sind 
danach ‘das Staatsministerium, unter Umständen auch militärische 
Befehlshaber ®. 
Die Wirkungen eines derartigen Belagerungszustandes sind: 
1. der Übergang der vollziehenden Gewalt auf die Militärbefehlshaber, 
2. das Recht zur Suspendierung gewisser Verfassungsartikel, nament- 
lich solcher, die sich auf Verhaftung, Haussuchung, Briefgeheimnis, 
Vereins- und Versammlungsrecht, Presse, und Einschreiten des 
Militärs beziehen. An die Stelle der landesgesetzlichen Bestimmungen 
über die angeführten Gegenstände sind zum großen Teil reichsgesetz-. 
liche Vorschriften getreten. Soweit dies der Fall ist, hat die Suspen- 
dierungsbefugnis aufgehört, da die Regierungen der Einzelstaaten 
Reichsrecht nicht aufzuheben vermögen. Nur insoweit ist sie bestehen 
geblieben, als sie durch eine ausdrückliche reichsgesetzliche Vorschrift 
aufrecht erhalten wird‘. 3. Das Recht der Einsetzung von Kriegs- 
gerichten 5. 4. Das Inkrafttreten der Kriegsgesetze®. — Nach preu- 
Bischem Recht hat die Verkündigung des Belagerungszustandes noch 
! Übereinstimmend: Thudichum S$. 294; Seydel, Kommentar, $. 248 
[in der ersten Auflage, nicht aber in seinen anderen Schriften; auch Laband 
at früher diese Ansicht vertreten]; v. Mohl, v. Roenne, Leoni. A. A.: 
Seydel, V.R.W. 1, 158 und an anderen Stellen; Haenel I, 440'%; Zorn l, 
198; v. Stengel, Verw.R. S. 287; Loening, Verw.R. S. 293; Laband 4, 
45 u. a. — Vgl. gegen diese, namentlich gegen Laband, G. Meyer, Annalen 
1880 S. 347. 
2 Vgl. $ 59%. 
®2 So namentlich nach $$ 1 u. 2 des preuß. G. vom 4. Juni 1851. Die Be- 
hauptungv.Roennes, Deutsch. Staater. 1,84, daß diese Bestimmungen für Preußen 
in Geltung geblieben sind, ist nach den obigen Ausführungen für richtig zu 
erachten. — A. A. Haenel 1, 443, Laband 4, 44 ff. von dem in N. 1 ange- 
gebenen Standpunkte aus. [Nach Laband ist die Erklärung des Kriegszustandes 
ein Ausfluß des kaiserlichen Militäroberbefehls; die Einzelstaaten seien nicht 
befugt, in denselben einzugreifen, insbesondere den Militärbefehlsbabern die 
gesamte Oberleitung der Zivilverwaltung und die Verantwortlichkeit: für dieselbe 
zu übertragen und die Militärgerichtsverfassung eigenmächtig umzuändern, Die 
Regierungen der Einzelstaaten seien auch nicht befugt, Reichsgesetze eigen- 
mächtig aufzuheben oder umzuändern, die Erklärung des Belagerungszustandes 
habe aber eine zeitweise Veränderung des Strafgesetzbuchs, und sofern Kriegs- 
gerichte eingesetzt werden, auch des Gerichtsverf: gsgesetzes und der Straf- 
prozeßoränun zur Folge. Die Bundesfürsten hätten zwar nach Art. 66 R.Verf. 
ie in ihreu Ländergebieten dislozierten Truppen zu polizeilichen Zwecken zu 
requirieren. Diese equisition setzte aber die Fortdauer des gemeingültigen 
Rechts voraus, 68 R.Verf. schreibe aber ausdrücklich dem Kaiser das Recht 
zur Erklärung des Kriegszustandes zu. — Von dieser jetzt herrschenden Ansicht 
Labands weicht G. Meyers Text ab.] 
* Dies ist hinsichtlich der auf die Presse bezüglichen Befugnisse durch 
R.G. über die Presse vom 7. Mai 1874 $ 30 geschehen. 
5 Auch dieses Recht ist durch $ 16 des R.G.V.G. ausdrücklich aufrecht 
erhalten worden. 
* R.Militärstrafgesetzbuch vom 20. Juni 1872 $ 9, Nr. 2.
	        
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