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berührt worden. Weder hat eine ausdrückliche Aufhebung derselben
stattgetunden, noch sind sie für unvereinbar mit der im Reiche be-
stehenden Gestaltung des Militärwesens zu erachten!. Derartige
landesgesetzliche Vorschriften bestehen in Preußen, Sachsen und
aden®. Befugt zur Verkündigung des Belagerungszustandes sind
danach ‘das Staatsministerium, unter Umständen auch militärische
Befehlshaber ®.
Die Wirkungen eines derartigen Belagerungszustandes sind:
1. der Übergang der vollziehenden Gewalt auf die Militärbefehlshaber,
2. das Recht zur Suspendierung gewisser Verfassungsartikel, nament-
lich solcher, die sich auf Verhaftung, Haussuchung, Briefgeheimnis,
Vereins- und Versammlungsrecht, Presse, und Einschreiten des
Militärs beziehen. An die Stelle der landesgesetzlichen Bestimmungen
über die angeführten Gegenstände sind zum großen Teil reichsgesetz-.
liche Vorschriften getreten. Soweit dies der Fall ist, hat die Suspen-
dierungsbefugnis aufgehört, da die Regierungen der Einzelstaaten
Reichsrecht nicht aufzuheben vermögen. Nur insoweit ist sie bestehen
geblieben, als sie durch eine ausdrückliche reichsgesetzliche Vorschrift
aufrecht erhalten wird‘. 3. Das Recht der Einsetzung von Kriegs-
gerichten 5. 4. Das Inkrafttreten der Kriegsgesetze®. — Nach preu-
Bischem Recht hat die Verkündigung des Belagerungszustandes noch
! Übereinstimmend: Thudichum S$. 294; Seydel, Kommentar, $. 248
[in der ersten Auflage, nicht aber in seinen anderen Schriften; auch Laband
at früher diese Ansicht vertreten]; v. Mohl, v. Roenne, Leoni. A. A.:
Seydel, V.R.W. 1, 158 und an anderen Stellen; Haenel I, 440'%; Zorn l,
198; v. Stengel, Verw.R. S. 287; Loening, Verw.R. S. 293; Laband 4,
45 u. a. — Vgl. gegen diese, namentlich gegen Laband, G. Meyer, Annalen
1880 S. 347.
2 Vgl. $ 59%.
®2 So namentlich nach $$ 1 u. 2 des preuß. G. vom 4. Juni 1851. Die Be-
hauptungv.Roennes, Deutsch. Staater. 1,84, daß diese Bestimmungen für Preußen
in Geltung geblieben sind, ist nach den obigen Ausführungen für richtig zu
erachten. — A. A. Haenel 1, 443, Laband 4, 44 ff. von dem in N. 1 ange-
gebenen Standpunkte aus. [Nach Laband ist die Erklärung des Kriegszustandes
ein Ausfluß des kaiserlichen Militäroberbefehls; die Einzelstaaten seien nicht
befugt, in denselben einzugreifen, insbesondere den Militärbefehlsbabern die
gesamte Oberleitung der Zivilverwaltung und die Verantwortlichkeit: für dieselbe
zu übertragen und die Militärgerichtsverfassung eigenmächtig umzuändern, Die
Regierungen der Einzelstaaten seien auch nicht befugt, Reichsgesetze eigen-
mächtig aufzuheben oder umzuändern, die Erklärung des Belagerungszustandes
habe aber eine zeitweise Veränderung des Strafgesetzbuchs, und sofern Kriegs-
gerichte eingesetzt werden, auch des Gerichtsverf: gsgesetzes und der Straf-
prozeßoränun zur Folge. Die Bundesfürsten hätten zwar nach Art. 66 R.Verf.
ie in ihreu Ländergebieten dislozierten Truppen zu polizeilichen Zwecken zu
requirieren. Diese equisition setzte aber die Fortdauer des gemeingültigen
Rechts voraus, 68 R.Verf. schreibe aber ausdrücklich dem Kaiser das Recht
zur Erklärung des Kriegszustandes zu. — Von dieser jetzt herrschenden Ansicht
Labands weicht G. Meyers Text ab.]
* Dies ist hinsichtlich der auf die Presse bezüglichen Befugnisse durch
R.G. über die Presse vom 7. Mai 1874 $ 30 geschehen.
5 Auch dieses Recht ist durch $ 16 des R.G.V.G. ausdrücklich aufrecht
erhalten worden.
* R.Militärstrafgesetzbuch vom 20. Juni 1872 $ 9, Nr. 2.