Full text: Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechtes.

IV. Eisenbahn, Post, Telegraphie. $ 108. 289 
staatlichen Aufsichtsbehörden eine Einwirkung eingeräumt, welche 
wesentlich durch die Bestimmungen der Konzessionsurkunden ge- 
regelt wird. Dem Reiche steht die Kontrolle über das Tarifwesen 
zu®!. Diese Kontrolle schließt aber lediglich die Befugnis in sich, 
von den Tarifen Kenntnis zu nehmen und die Einhaltung der auf 
dieselben bezüglichen gesetzlichen und konzessionsmäßigen Vor- 
schriften zu überwachen??®. Das Reich soll darauf hinwirken, daß 
die möglichste Gleichmäßigkeit und Herabsetzung der Tarife erzielt, 
insbesondere daß bei größeren Entfernungen für den Transport von 
Kohlen, Koaks, Holz, Erzen, Steinen, Salz, Roheisen, Düngungsmitteln 
ein dem Bedürfnisse der Landwirtschaft und Industrie entsprechender 
ermäßigter Tarif, und zwar zunächst tunlichst der Einpfennig - Tarif 
eingeführt werde®®, Zur Herbeiführung dieses Resultates sind jedoch 
der Reichsregierung keinerlei obrigkeitliche Befugnisse eingeräumt; sie 
ist vielmehr auf die Herbeiführung einer Verständigung mit den 
Eisenbahnverwaltungen angewiesen. Nur in einer Beziehung steht 
dem Reiche eine direkte Einwirkung auf das Tarifwesen zu. Bei 
eintretenden Notständen, insbesondere bei ungewöhnlicher Teuerung 
der Lebensverhältnisse hat der Kaiser das Recht, einen auf Vorschlag 
des Bundesratsausschusses für Eisenbahnen, Post und Telegraphen 
festzustellenden niedrigen Spezialtarif für den Transport von Getreide, 
Mehl, Hülsenfrüchten und Kartoffeln einzuführen, derselbe darf jedoch 
nicht unter den niedrigsten auf der betreffenden Bahn für Rohprodukte 
geltenden Satz herabgehen. 
Im Interesse des Eisenbahnbetriebes sind dem Publikum gewisse 
Beschränkungen und Verpflichtungen auferlegt, deren Inbegriff man 
als Bahnpolizeirecht,im engeren Sinne bezeichnen kann, 
während zu dem Bahnpolizeirecht im weiteren Sinne auch 
die den Bahnen im Interesse der öffentlichen Sicherheit auferlegten 
Beschränkungen und Verpflichtungen gehören. Die Vorschriften für 
as Publikum stellen die Voraussetzungen fest, unter denen das 
Betreten der Bahn gestattet ist, und regeln das Verhalten der die 
Bahn benutzenden Personen®*. Die Übertretung derselben ist mit 
Geldstrafe bis zu 100 Mark bedroht®. Die Ausübung der 
Bahnpolizei, d. h. die Sorge für die Aufrechterhaltung der be- 
treffenden Vorschriften ist Sache der Eisenbahnverwaltungen; sie 
erfolgt durch die Beamten, welche den Charakter von Bahnpolizei- 
"1 R,Verf. Art. 45, 
. „3 Vgl. die Äußerungen des Bundeskommissare Delbrück und des Abg. 
Michaelis in der Reichstagssitzung vom 1. April 1867 (Sten. Ber. S. 507); 
pP errot, Die Kontrolle des Reichs über das Eisenbahntarifwesen, Annalen 1874, 
S. 1087; Laband 3, 117; Haenel 1, 658. 
or u R.Verf. Art. 45. Schlußprotokoll zum Vertr. mit Württemberg vom 
25. November 1870 Nr. 2. 
._ +‘ [Dies sind die allgemeinen Bestimmungen für das Publikum B.O. $ 77; 
die Bestimmungen über das Betreten der Bahnanlagen B.O, $ 78; Überschreiten 
der Bahn B.O. $ 79; Verhalten der Reisenden B0.8 81; Bahnbeschädigung und 
etriebsstörungen B.O. $ 20) 
2° (B.O. $ 82, wenn nicht nach allgemeinen Strafbestimmungen eine höhere 
Strafe verwirkt ist.] 
Meyer-Dochow, Deutsches Verwaltungsrecht. 3. Autl. 19
	        
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