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die Gesetzgebung des ehemaligen Kurfürstentums Hessen. Nach der-
selben waren die Gerichte befugt, jeden unberechtigten Eingriff der
Regierungsgewalt in die natürliche Freiheit oder das Eigentum der
rivatpersonen zurückzuweisen?,
Die Entscheidung fast aller im Bereiche der Verwaltung auf-
tretenden Rechtsfragen durch die Verwaltungsbehörden erwies sich
auf die Dauer als immer unhaltbarer. In den Zeiten des absoluten
Staates war zwar der Monarch in Ausübung seiner Verwaltungs-
befugnisse durch keinerlei Schranken gebunden gewesen. Dagegen
lag eine große Garantie für eine unparteiische Anwendung der vom
Monarchen ausgegangenen allgemeinen Anordnungen, sowie für eine
maßvolle Handhabung der Verwaltungsbefugnisse in der kollegialen
Organisation der Verwaltungsbehörden und der rechtlich geschützten
Stellung ihrer Mitglieder. Infolge des Instanzenzuges war jedem
Untertan die Möglichkeit gegeben, sich mit einer Beschwerde an
die höheren Verwaltungsbehörden zu wenden, wenn er durch eine
Verfügung der niederen Organe beschwert zu sein glaubte. Mit der
Einführung der konstitutionellen Staatsform änderten sich diese Ver-
eines speziellen Rechtstitels behauptete; 2. wenn durch die Verfügun
ein Eingriff in die Privatrechte stattgefunden hatte, für welchen nac
den gesetzlichen Vorschriften Entschädigung gezahlt werden mußte, über
die Notwendigkeit und den Betrag dieser Entschädigung; 3. wenn
Privatpersonen untereinander stritten, wem von ihnen eine Ver-
pflichtung obliege. Das G. betr. die Erweiterung des Rechtsweges, vom 24. Mai
1861, hat abgesehen von den oben erwähnten Fällen den Rechtsweg noch zu-
elassen: 1. Binsiehtlich vermögensrechtlicherAnsprüche der Staats-
eamten aus ihrem Dienstverhältnis, namentlich der Ansprüche auf Besoldung,
Pension und Wartegeld; 2. hinsichtlich öffentlicher Abgaben in folgenden
Fällen: a) bei Rückforderung des Gezahlten auf Grund der Behauptung, daß
die einzelne Forderung getilgt oder bezahlt sei; b) bei der Behauptung, daß die
Abgabe keine öffentliche sei, sondern auf einem privatrechtlichen Titel beruhe;
c) bei Stempelabgaben, wenn der Betreffende zur Zahlung überhaupt nicht oder
nicht in dem verlangten Betrage verpflichtet zu sein glaubt; d) bei Kirchen-
und Schulabgaben, wenn dieselben auf einer notorischen Orts- und Bezirks-
verfassung beruhen, so wie hinsichtlich der Schul- und Pensionsgelder. Diese
Gesetzgebung ist durch V. vom 16. September 1867 auf die neuen Provinzen,
durch & vom 25. Februar 1878 $ 3 auf Lauenburg ausgedehnt worden. — Auch
in Sachsen ist die Beschreitung des Rechtaweges bei Streitigkeiten über
öffentliche Rechte und Pflichten dann zulässig, wenn jemand sich auf ein be-
sonderes Gesetz oder einen speziellen Rechtstitel beruft (G. über die Kompetenz-
verhältnisse zwischen Justiz- und Verwaltungsbehörden vom 28. Januar 1835
$$ 7 und 10).
° In Hessen war, nachdem das Land ein umfassendes privilegium de non
appellando erhalten hatte, am 15. Februar 1746 ein Oberappellationsgericht zu
assel errichtet worden und diesem an Stelle der Reichsgerichte auch die Ent-
scheidung der Rekurse wegen mißbräuchlicher Ausübung der Hoheitsrechte
übertragen worden. Dadurch bildete sich eine umfassende Kontrolle des obersten
Gerichtshofes über die Verwaltung aus, welche in den Formen einer Extra-
judizialappellation geltend gemacht wurde. An die Stelle der letzteren trat
seit dem Jahre 1817 die selbständige Beschreitung des Rechtsweges in Form
der Klage. Diese Praxis erhielt durch die Bestimmungen des Organisationsediktes
vom 29. Juni 1821 $ 60, der Verf.Urk. vom 5. Januar 1831 $S 35, 113, 123 und
des Gezetzes vom 11. Juli 1832 über den Geschäftskreis der Staatsanwälte, ihre
gesetzliche Bestätigung und Fortbildung. Vgl. Bäbr a.a.0. S.135; E. Meier
a... 0. 8. 285.