II. Verwaltungsgerichtsbarkeit. $ 10. 45
richterliche Entscheidung erfolgt jedoch in diesem Falle nicht
durch die ordentlichen Gerichte, sondern durch das oberste Ver-
waltungsgericht. Auch die Bildung der Senate geschieht ohne Ein-
wirkung der höheren Regierungsbehörden durch das Präsidium des
Gerichtes für eine längere Zeit im voraus. .
In Elsaß-Lothringen sind noch Reste der französischen
Verwaltungsgerichtsbarkeit bestehen geblieben. Die französische Ver-
waltungsgerichtsbarkeit, das sogenannte contentieux administratif, um-
faßt nicht bloß Verwaltungsangel genheiten, sondern auch fiskalische
Streitigkeiten und Strafsachen. Ihre Hauptorgane sind die Präfektur-
räte und der Staatsrat. Die ersteren haben erstinstanzliche Juris-
diktion in einer Reihe ihnen überwiesener Angelegenheiten. Letzterer
besitzt eine dreifache Kompetenz: er entscheidet Berufungen von den
Präfekturräten, erledigt eine Reihe von Verwaltungsstreitsachen in
erster und letzter Instanz und kann Verfügungen der Verwaltungs-
behörden wegen Überschreitung der Amtsgewalt aufheben. Durch
die deutsche Gesetzgebung sind die fiskalischen Streitigkeiten und
die Strafsachen den ordentlichen Gerichten überwiesen®. An Stelle
‚der Präfekturräte fungieren jetzt die Bezirksräte, welche aus dem
Bezirkspräsidenten und den ihm beigegebenen Räten bestehen.
Rekursinstanz für die Entscheidung derselben ist der kaiserliche Rat,
ein Kollegium, dessen Mitglieder in der Zahl von zehn durch den
Kaiser ernannt werden. Die übrigen Befugnisse des Staatsrates sind
aufgehoben, die Entscheidung von Beschwerden gegen Verwaltungs-
verfügungen erfolgt im Instanzenzuge der Verwaltungsbehörden !°.
Die Bezirksräte und der kaiserliche Rat sind aber keine Verwaltungs-
gerichte im Sinne der neueren deutschen Gesetzgebung}"!. Sie ent-
behren durchaus der für diese erforderlichen richterlichen Selbst-
ständigkeit und Unabhängigkeit. Das contentieux administratif in
der Gestalt, wie es jetzt noch in Elsaß-Lothringen besteht, hat daber
mehr den Charakter eines eigenartigen Verfahrens vor besonders dazu
bestellten Verwaltungsbehörden, als den einer Verwaltungsgerichts-
arkeit.
—
® E.G. zum R.Str.G.B. vom 30. Aug. 1871 Art XII. Ausf. G. zum R.G.V.G.
vom 4. Nov. 1878 $ 8. ,
\° G., betr. die Einrichtung der Verwaltun vom 80. Dez. 1871 8 5, 8, 13, G.,
betr., die Verfassung und Verwaltung Elsaß-Lot ıringen, vom 4. Juli 1879 $ 11. —
[Vgl. Keetmann, ennung von Justiz und Verwaltung in Elsaß-Lothringen
Arch. £. öff, R. 21, 71; Rosenberg, Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit in
Elsaß-Lothringen. Annalen 89, 811.— Der kaiserliche Rat ist berufen zur Wahr-
nehmung der dem französischen Staatsrat zugewiesenen Verrichtungen, soweit
sie die Rekurse gegen Entscheidungen der Bezirksräte in streitigen Fällen
betreffen; außerdem sind ihnen durch neuere Gesetze und Verordnungen ver-
schiedene verwaltungsgerichtliche Funktionen übertragen. Durch Kaiserliche
Verordnung kann die Zuständigkeit des Kaiserl. Rats in verwaltungsrechtlichen
Angelegenheiten, für welche nicht bisher die ordentlichen Gerichte zuständig
waren, erweitert werden. Hat eine solche Erweiterung stattgefunden, so kann
ihre Wiederaufhebung nur durch Gesetz erfolgen. Vgl. Staatshandbuch f. Elsaß-
Loth. VL] . 159
" (Vgl. Bruck, Verfassung und Verwaltung von Elsaß-Lothringen 1, 15
und die dort in Note I angeführten Entscheidungen: R.Ziv. 5, 48; 52, 107;
R.Str. 16, 197; 82, 322.]