648 Fünftes Buch. $ 223.
4. Die Steuerpflicht ist eine öffentlich rechtliche, keine
privatrechtliche Verbindlichkeit®. Sie beruht auf der Ausübung
staatlicher Herrschaftsrechte®. Inhaltlich hat sie die Prästierung einer
Geldleistung zum Gegenstande. Die Verbindlichkeit zur Steuer-
zahlung erlischt: 1. durch Zahlung’. Diese hat bei den Steuern,
die an wirtschaftliche Handlungen geknüpft sind, bei Vornahme der
betreffenden Handlung, bei andern Steuern in Terminen zu erfolgen,
die durch Gesetz, Etat oder Verwaltungsanordnung bestimmt werden;
2. durch Erlaß®. Der Erlaß einer Steuer ist eine Dispensation
von der Erfüllung einer staatsbürgerlichen Pflicht, er kann daher
nur durch einen Akt der gesetzgebenden Organe oder durch einen
Verwaltungsakt auf Grund einer ausdrücklichen gesetzlichen Er-
mächtigung erfolgen®; 3. durch Verjährung!‘ Ein Erlöschen
der Steuerpflicht durch Verjährung kann nur auf Grund einer aus-
drücklichen gesetzlichen Vorschrift stattfinden. Die Voraussetzungen
5 Otto Mayer 1, 388: der Akt, durch welchen die Steuerpflicht be-
gründet wird, ist die Steuerauflage.
® Otto Mayer 1, 388: die Steuerauflage ist ein Eingriff in die Freiheit
und bedarf als solcher einer gesetzlichen Grundlage.
’ Über Anderung und Aufhebung der Steuerpflicht, insbesondere über
die Rechte der Steuerverwaltung zur Geltendmachung des Steueranspruchs
und der Untertanen zur Abwehr unbegründeter Inanspruchnahme. Vgl. Otto
Mayer 1, 418.
8 Otto Mayer 1, 429: der Steuererlaß ist die Tilgung der Steuerpflicht
durch Verzicht von seiten des Gläubigers.
® Die Frage hat namentlich in Preußen praktische Bedeutung gewonnen,
wo auch jetzt noch Steuererlasse durch den König vorkommen. Nach preußi-
schem Staatsrecht sind dieselben nicht für zulässig zu erachten. Vgl. von
Roenne, preuß,. Staater. 4, $ 418, S. 744; Bornhak, Das Recht des Königs
zum Steuererlaß in Preußen. Arch. f. öfl. R.6, 311; G. Meyer, Die Ver-
handlungen des preußischen Abgeordnetenhauses über den Erlaß von Stempel-
steuern für Fideikommisse. Neue Heidelberger Jahrbücher 1. 336. A. A.:
Arndt Annalen 1891, S. 385, namentlich aber Laband, Das Gnadenrecht in
Finanzsachen nach preußischem Recht. Arch. f. öff. R. 8, 169, welcher den
Steuererlaß nicht als Dispensation, sondern als Gnadenakt aufgefaßt
wissen will. Letzterer soll sich von der Dispensation dadurch unter-
scheiden, daß er kein das objektive Recht ändernder Akt, kein Gesetzgebungsakt
sei (a. a. O. 192, 193). Aber auch die Dispensation hat nicht den Charakter
eines Gesetzgebungsaktes. Sie ist eine Verwaltungsverfügung, durch die ob-
jektives Recht nicht aufgehoben, sondern für einen einzelnen Fall außer An-
wendung gesetzt wird. ( gl Meyer-Anschütz $ 178) Die Theorie La-
bands führt zu sehr bedenklichen Konsequenzen. Die Behauptungen, daß
„die Gnade gesetzesfreies Gebiet sei“, daß der konstitutionelle Monarch „in
einer ihm vorbehaltenen Sphäre staatlichen Wollens, bis zu welcher die Funk-
tionen der Gesetzgebung nicht hinanreichen, innerhalb der aus dem Begriff der
Gnade selbst sich ergebenden Schranken der Gunsterweisung ohne Verletzung
der Rechte Dritter die suprema potestas des Staates ausüben könne“, sind so
weitgehend und so unbestimmt, daß auf Grund derselben fast jede Durch-
brechung der Verwaltungsgesetze durch einen Akt des Monarchen gerecht-
fertigt werden kann. Mit der Labandschen Anschauung stimmen im wesent-
lichen überein Jo&l, Annalen 1891, S. 417, 1892, S. 288, und Curtius, An-
nalen 1893, S. 670, die nur eine Beschränkung des Gnadenrechtes des Königs
durch das Recht des Landtages auf Rechnungskontrolle annehmen. (Vgl. hierzu
Otto Mayer 1, 43091) — Eine gesetzliche Ermächtigung zu gnadenweisen
Steuererlassen enthält das bad. G. über den Staatsvoranschlag und die Ver-
waltung der Einnahmen und Ausgaben vom 22. Mai 1882 Art. 32.
10 Vgl. Otto Mayer 1, 420.