Full text: Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechtes.

II. Arbeiterversicherung. $ 262. 727 
gebrauch würde allerdings nicht maßgebend sein, wenn die materiellen 
Vorschriften derart wären, daß sie das Bestehen eines Versicherungs- 
verhältnisses unbedingt ausschlössen. Aber er fällt wesentlich in das 
Gewicht, sofern der sachliche Inhalt der Gesetze sich mit der An- 
nahme eines Versicherungsverhältnisses vereinigen läßt. Und dies 
ist für die normale Gestalt der Arbeiterfürsorge durchaus der Fall. 
Das Wesen der Versicherung bestebt darin, daß auf der einen Seite 
die Verpflichtung zur Zahlung periodischer Beiträge, auf der andern 
Seite die Verbindlichkeit zum Ersatz des Vermögensschadens besteht, 
den jemand durch gewisse näher bestimmte Ereignisse erleidet. Diese 
Erfordernisse sind bei der Arbeiterversicherung vorhanden. Die Ver- 
sicherungsanstalten ersetzen den Vermögensschaden, den die Arbeiter 
oder ihre Angehörigen durch Krankheit, Betriebsunfälle, Invalidität 
oder Alter erleiden. Sie übernehmen demnach das Risiko für fremde 
Gefahr®. Dieser Verbindlichkeit steht die Pflicht zur Zahlung von 
Beiträgen gegenüber. Beide Verpflichtungen beruhen auf einem ein- 
heitlichen Entstehungsgrunde, der Beschäftigung in einem versicherungs- 
pflichtigen Betriebe, und bedingen sich gegenseitig’. Freilich werden 
die Beiträge keineswegs bloß von den Uhnterstü b 
8 echtigten, 
verhältnisses. Das Gesetz bezweckt allerdings die Gewährung von Unter- 
stützungen bez. eine sozialpolitische Fürsorge, aber es erstrebt die Ver- 
wirklichung dieses Zweckes in der Form der Versicherung. 
8 Gegen Proebst, Annalen 1888 S. 326 bemerkt G. Meyer: Mit Unrecht 
behauptet Proebst, die Berufsgenossenschaften und die Krankenkassen trügen, 
da die Entschädigungspflicht rechtlich ihnen, nicht den Arbeitern oder den 
Unternehmern auferlegt sei, eigene Gefahr. Die Gefahr, gegen die ver- 
sichert wird, und für deren Vermögensnachteile die genannten Institute auf- 
zukommen haben, besteht nicht für diese, sondern für die versicherten Arbeiter, 
? Hierzu hat G. Meyer, Verw.R.° 1, 6167 bemerkt: Im Gegensatz zu der 
hier vertretenen Auffassung nimmt L,aband das Bestehen von zwei einseitigen 
Verhältnissen, des Anspruchs der Versicherten auf Unterstützung und der 
Pflicht der Arbeiter bez. Unternehmer zur Zahlung der Beiträge an; beide Ver- 
pflichtungen sollen aber nicht den Charakter von Leistung und Gegenleistung 
haben, sondern ein publizistisches Verhältnis sein. Leistung und Gegenleistung 
können aber auch in publizistischen Verhältnissen vorkommen, und die Art, wie 
die Pflicht zur Zahlung der Beiträge auf der einen, die Verbindlichkeit zur 
Gewährung der Unterstützungen auf der anderen Seite zueinander in Beziehung 
esetzt sind, zeigt deutlich genug, daß hier in der Tat Leistungen und Gegen- 
eistungen vorliegen. Segen diese Auffassung spricht auch nicht der Umstand, 
daß, selbst wenn die Zahlung der Beiträge tatsächlich nicht erfolgt ist, trotz- 
dem die Pflicht zur Gewährung der Unterstützungen besteht, worauf Rosin 
und Rehm wesentliches Gewicht legen. Nicht die tatsächliche Zahlung, 
sondern nur die Pflicht zur Zahlung bildet die Voraussetzung für die Ent- 
stehung des Unterstützungsanspruches. Der Arbeitgeber, welcher die Beiträge 
nicht gezahlt hat, bleibt zur Nachzahlung verpflichtet. Der bei Privat- 
versicherungsgesellschaften regelmäßig geltende Grundsatz, daß im Falle unter- 
lassener Zahlung der Versicherungsprämie der Anspruch auf die Versicherungs- 
summe erlischt, beruht auf den besonderen Festsetzungen in den Statuten und 
Versicherungebedingungen der genannten Gesellschaften, ergibt sich aber 
keineswegs aus dem Wesen der Versicherung. Wenn endlich Rosin und 
Laband sich auf die Übergangebestimmungen in dem Invaliditäts- und Alters- 
versicherungsgesetz berufen, nach denen ie, Unterstützungen auch Personen 
gewährt werden, die niemals versicherungspflichtig gewesen sind, so ist dem- 
gegenüber zu bemerken, daß es sich hier um eine der außergewöhnlichen Ge- 
8 
  
taltungen der Arbeiterfürsorge handelt, auf welche der Versicherungsbegrift 
keine Änwendung findet.
	        
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