Full text: Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechtes.

74 Erstes Buch. $ 18. 
Bei jeder Enteignung stehen sich zwei Subjekte gegenüber: 
derjenige, zu dessen Gunsten enteignet wird, der Expropriant, 
und derjenige, von dem enteignet wird, der Expropriat. Als 
Expropriant tritt entweder der Staat bzw. das Reich oder ein 
als Beil des Staates erscheinendes Gemeinwesen (Provinz, Kreis, Ge- 
meinde) oder eine Privatkorporation oder ein einzelner Privater auf !. 
Expropriat ist diejenige physische oder juristische Person, welche 
im Gebiete des Staates Vermögensobjekte, insbesondere Grund- 
eigentum oder dingliche Rechte an fremden Grundstücken besitzt, 
die mit der Realisierung des fraglichen Unternehmens nicht ver- 
einbar sind. Auch der Staat kann unter Umständen als Expropriat 
erscheinen. , 
. Der Expropriat erhält für das entzogene Vermögensobjekt volle 
Entschädigung. Es ist ihm nicht bloß der gewöhnliche Kauf- 
wert der Sache, sondern auch derjenige spezielle Wert zu ersetzen, 
welchen dieselbe gerade für ihn repräsentiert. Insbesondere muß bei 
Enteignung von Grundstücken derjenige Mehrwert berücksichtigt 
werden, welchen das abzutretende Grundstück durch seinen örtlichen 
und wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem übrigen Grundbesitz 
des Expropriaten hat, sowie die Minderung des Wertes, welche für den 
übrigen Grundbesitz infolge der Enteignung des betreffenden Grund- 
stückes eintritt. Der Expropriat hat das Recht, wenn ein Teil eines 
Grundstückes enteignet wird, die Übernahme des Ganzen zu ver- 
langen, falls das Restgrundstück seiner bisherigen Bestimmung nach 
nicht mehr zweckmäßig benutzt werden kann. Für Anlagen, welche 
der Expropriat lediglich zu dem Zweck gemacht hat, eine höhere 
Entschädigung zu erzielen, braucht Ersatz nicht geleistet zu werden. 
Die Werterhöhung, welche der übrige Grundbesitz des Expropriaten 
durch die Ausführung des öffentlichen Unternehmens erfährt, ist bei 
der Berechnung der Entschädigung nicht in Abzug zu bringen !5a, 
!* Die Behauptung Grünhuts, Enteignungsrecht $. 78, 97; H.W.B.® 3, 
964, der sich Bornhak, preuß. Staatsr. 8, 295 anschließt, daß nur der Staat 
{und seine organischen Teile] Subjekt des Enteignungsrechtes (Expropriant) sei, 
widerspricht den klaren Bestimmungen aller neueren Enteignungsgesetze und 
ist auch innerlich nicht gerechtfertigt. Die Verleihung des Enteignungs- 
rechtes kann allerdings nur durch den Staat erfolgen, aber der durch die 
Enteignung bewirkte Rechtsübergang ist auch zugunsten einer Pri- 
vatperson möglich. Vgl. G. Meyer, Recht der Expropriation S. 261 und 
die das. N. 2 zitierten Schriftsteller, Zeitschrift für deutsche Gesetzgebun 
a. 8. 0. S. 567; Eger, Kommentar; Jellinek. System?, S. 258. [Vet 
Gierke 2, 476: „Enteigner im wahren Sinne des Wortes ist immer nur 
der Staat... Als Enteigner (Expropriant) aber wird derjenige bezeichnet, der 
den Rechtswert durch Enteignung für sich betreibt. Enteigner in diesem Sinne 
kann nicht nur der Staat, sondern auch eine andere öffentliche Verbandsperson 
oder eine Privatperson sein.“ — Otto Mayer 2, 9: „Nennt man also Enteigner 
den, der das Eigentum entzieht, so ist es hier allemal nur der hinter der Ent- 
eignungsbehörde stehende Staat. Ist Enteignungsrecht die rechtliche Möglichkeit 
so zu wirken, so hat es der Staat allein, wer auch der Unternehmer sei“ — — un 
in Note 8: „Vielleicht wäre zu helfen, wenn man einen Enteigner im formellen 
und im materiellen Sinne unterschiede, gerade wie beim Gesetz, mit dem Vor- 
behalte wie dort, daß eigentlich nur der im formellen Sinne der richtige ist.“] 
ı$ (Vgl. hierzu Fleiner, Einzelrecht und öffentl. Interesse. Abh. 1. 
Laband 2, 20.] 
163 Nur das hamb. Expr.@. vom 5. Mai 1886 $ 6 gestattet eine solche An- 
rechnung.
	        
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