104 Zaoweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. § 27
Drittes Kapitel.
*- 27. Die nicht unter das Reichsbeamtengesetz fallenden Beamtenkategorien.
Die Rechtsverhältnisse der Beamten, auf welche das Beamtengesetz keine Anwendung
findet, regeln sich, soweit nicht unter deutscher Verwaltung neue Rechtsgrundsätze auf-
gestellt sind!, nach französischem Recht. Dasselbe weicht in wesentlichen Punkten vom
deutschen Recht ab. So kann beispielsweise der Beamte jederzeit ohne ein besonderes
vorausgegangenes Verfahren abgesetzt werden; es ist dies eine weitere Folge des Grund-
satzes, daß, von gewissen, gesetzlich besonders hervorgehobenen Fällen abgesehen, der Beamte
sozusagen kein Recht auf das Amt hat. Ferner ist für die vermögensrechtlichen An-
sprüche des Beamten der ordentliche Rechtsweg nicht eröffnet. Diese Schlechterstellung
der fraglichen Beamtenkategorien (insbesondere der Bezirks= und Gemeindebeamten) hat
zu lebhaften Klagen derselben Anlaß gegeben. Bestrebungen zu einer Reform des Ge-
meindebeamtenrechts sind daher auch seit längerer Zeit schon im Gange.
Das französische Recht enthält kein einheitliches Beamtenrecht, sondern gibt nur Regeln
für gewisse Klassen von Beamten. Eine besonders bevorzugte Klasse bilden die officiers
ministériels. Man versteht darunter Personen, welche ein Amt be-
kleiden, das ausschließlich oder vornehmlich im Dienste von Privat-
interessen steht?2. Früher zählte man hierher die Notare, Anwälte, Gerichts-
vollzieher, amtlichen Versteigerer (commissaires-priseurs), Wechselagenten, Makler
und bezüglich eines Teils ihrer Tätigkeit auch die Gerichtsschreiber.
lua gosri Bedeutung beanspruchen heutzutage nur noch die Notare und Gerichts-
vollzieher.
I. Die Notare. Nach dem Gesetz vom 38. April 1906 (G.Bl. S. 47) ist
die Voraussetzung der Ernennung zum Notar die Erlangung der Befähigung zum
Richteramt 5. Die Ernennung erfolgt auf Lebenszeit durch den Statthalter". Die
Notare leisten bei der UÜbernahme des Amtes den Diensteid der Landesbeamten? und
haben eine Kaution zu hinterlegen #. Die Zahl der Notare und der Sitz derselben
wird durch den Statthalter bestimmt; auf jeden Amtsgerichtsbezirk muß jedoch mindestens
ein Notar kommen. Nach dem Gesetze vom 16. November 1896 (G.Bl. S. 82) er-
streckt sich die Zuständigkeit jedes einzelnen Notars auf ganz Elsaß-Lothringen 7. Jeder
Notar hat jedoch die Verpflichtung, an dem ihm zugewiesenen Sitz Wohnung zu
nehmen. Zum vorübergehenden Verlassen des Wohnsitzes bedarf der Notar des Ur-
laubs. Ubersteigt die Entfernung vom Amtssitz die Dauer einer Woche, so ist An-
zeige beim Ersten Staatsanwalt des Landgerichtsbezirks zu machen. Mit dem Urlaub
ä..
1 Vgal. z. B. das Gesetz, betr. die Vergütung für Dienstreisen der Bezirksbeamten sowie der
Notare und Gerichtsvollzieher, vom 18. Mai 1912 (G. Bl. S. 33). Vgl. O.L.G. Colmar v. 16. Febr.
1911, Els.-I. Z. 1912 S. 51.
* Leoni S. 156; O. Mayer, Frz. V.R., S. 315 a5 Durch Gesetz v. 10. Juni 1872 (G Bl.
S. 171) wurde das Vorschlagsrecht der Inhaber verkäuflicher Stellen im Justizdienst gegen Ge-
währung von Entschädigungen aufgehoben. Die dienstliche Stellung der Gerichtsschreiber wurde
durch das Reichsbeamtengeseß, diejenige der Rechtsanwälte durch die nurchtsanwaltaarnung geregelt.
Amtliche Versteigerer gibt es in E.-L. nicht mehr; für Wechselagenten fehlt die tatsächliche Grund-
lage einer Tätigkeit, nämlich die Effektenbörse.
4 *. Das Gesetz v. 24. März 1882 (G. Bl. S. 62), betr. die Fähigkeit zum Amt eines Notars,
sah zwei Gruppen von Kandidaten vor, solche, die die Notariatsprüfung, und solche, welche die
Staatsprüfung (Prüfung zum höberen Richteramt) abgelegt hatten. Das Gesetz von 1906 gibt in § 2
üÜber anfsbestimmungen für die Notariatskandidaten älteren Stils. Frantz, Das Notariat in E.-L.:
Desel e, Das Notariat nach Reichsrecht, 1907 S. 338 f.
*§#. 1I7 des Ges. v. 14. Juli 1871 (G.Bl. S. 165); Ges. v. 4. Juli 1879 §& 2; Gef. v.
25. Vent. XI Art. 2.
5 Ges. v. 20. Sept. 1871 (G. Bl. S. 339); Ges. v. 25. Vent. XI Art. 47; Verf. des Reichs-
kanzlers v. 14. Sept. 1872.
" * Ges. v. 15. Okt. 1873 (G. Bl. S. 273); Ver. v. 22. Nov. 1873 (G.Bl. S. 292) § 1
Ziff VII. Ferner haben die Notare ihre Unterschrift und ihren Handzug auf der Gerichtsschreiberei
des Landgerichts, in dessen Bezirk sie ihren Amtssitz haben, event. auf der Gerichtsschreiberei des
Amtsgerichts, in dessen Bezirk ihr Amtssitz liegt, zu hinterlegen. § 62 A.G. F.G.G. v. 6. Nov
1899 G'et S. 117).
' Uber die Mißstände, die mit diesem Zustand verknüpft sind, vgl. Fischbach in der Vot.=
Zeitschr. f. E. L. Bd. 1911 S. 347. n! al Fischbach