8 31 Sicherung der Ausübung des Wahlrechts und Wahlprüfungsverfahren. 119
dann auf den Einspruch eines jeden Wahlberechtigten, der an der betreffenden Wahl
teilnehmen durfte, bei Wahlen zur Zweiten Kammer auch auf den Einspruch jedes
Wählbaren, der bei der Wahl Stimmen auf sich vereinigt hat. Der Einspruch ist
binnen vierzehn Tagen nach der amtlichen Feststellung des Wahlergebnisses bei dem
zur Entscheidung in Wahlprüfungssachen berufenen Gericht einzulegen und zu recht-
fertigen (§ 9 II V.G.).
Als Gericht kommt, solange ein oberster Verwaltungsgerichtshof in Elsaß-
Lothringen nicht errichtet ist, ein Senat des Oberlandesgerichts zu Colmar in Betracht .
1. Das Gericht prüft zunächst die sormalen Vorausfetzungen der Gültigkeit des Ein-
spruchs namentlich nach der Richtung, ob der Einspruch binnen vierzehn Tagen nach der amtlichen
Feststellung des Wahlergebnisses eingelegt und gerechtfertigt ist. Die Begründung kann sich auf alle
Momente stützen, welche die Ungesetzlichkeit der Wahl herbeiführen. Daß alle Gründe in dem Ein-
spruch bereits angeführt werden müssen, ist nicht vorgeschrieben. Grundsätzlich ist, wie das Ober-
landesgericht in seiner Rechtsprechung in Wahlanfechtungssachen 16 betont hat, daran festzuhalten,
daß die einzelnen zur Rechtfertigung des Einspruchs bestimmten Tatsachen bei Vermeidung des Aus-
schlusses während der vierzehntägigen Frist vorgebracht werden müssen; aber es ist zuzulassen, daß
allgemein gehaltene Anfechtungsgründe, falls sie wenigstens einen bestimmbaren Inhalt haben, noch
nachträglich binnen einer vom Gericht festzusetzenden Frist durch besondere Angaben über einzelne
Vorkommnisse ergänzt werden 11.
Da das Verfassungsgesetz keine weiteren Vorschriften über das Verfahren gibt, ergab sich für
das Gericht die Notwendigkeit, ein besonderes Verfahren neu zu bilden oder sich an ein bestehendes
gesetzliches Verfahren anzuschließen. Das O.L.G. Kolmar hat in Erwägung, daß „in den Wahl-
anfechtungssachen die Beteiligten sich nicht als Parteien gegenüberstehen“, und daß es sich nach dem
Grundsatze des geltenden Landesrechtes um „nichtstreitige Angelegenheiten des öffentlichen Rechts“ handelt,
nach dem hierfür maßgebenden § 13 A. G. F. G. G. die reichs- und landesrechtlichen Vorschriften über
das Verfahren in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit zur Anwendung gebracht. Indessen wurde
nach zwei Richtungen hin das Verfahren abweichend gestaltet: Es wurde der Grundsatz der Offente
lichkeit des Verfahrens aufgestellt, der jedoch hinsichtlich des Beweisaufnahmeverfahrens vor dem
beauftragten Richter insoweit eine Einschränkung erfuhr, als hier nur der Einsprechende und der
Gewählte sowie deren Bevollmächtigte zugelassen wurden. Die Entscheidung erging jedoch in allen
Fällen auf Grund einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, in welcher ein Richter als Bericht-
erstatter das Ergebnis der Beweisaufnahme vortrug, und in welcher die Beteiligten mit ihren An-
trägen gehört wurden. Ferner wurde der Bestimmung des § 18 F.G.G die Anwendung versagt:
jede Entscheidung hatte endgültigen und unabänderlichen Charakter.
Was nun zunächst die formalen Verstöße gegen das Wahlgesetz und die Wahlordnung
anlangt, so sind folgende Punkte hervorzuheben:
Als wesentliche und die Gültigkeit der Wahl beeinträchtigende Verstöße gelten: a) die Unter-
lassung der Verpflichtung des Wahlvorstehers, den Schriftführer und die Beisitzer an Eidesstatt zu
verpflichten (5 10 1 W.O.) 12; b) die Unterlassung der Einrichtung eines die Kontrolle der Stimmen-
abgabe ausschließenden Isolierraumes (6 9IV W.O.); c) der Verstoß gegen die Bestimmung des
§ 10 II W. O., wonach zu keiner Zeit der Wahlhandlung weniger als drei Mitglieder des Wahl-
vorstandes gegenwärtig und Vorsteher und Schriftführer gleichzeitig abwesend sein dürfen; d) wenn
den Wählern ein unzulängliches, insbesondere bei einem großen Wahlbezirk ein zu kleines Wahl-
lokal zur Verfügung gestellt wird, und die Wähler nach erheblicher Wartezeit (über eine Stunde),
ohne gewählt zu haben, nach Hause gehen (7); e) einen besonders schwierigen Fall bietet die Frage
der Verstöße gegen die Vorschriften über die Aufstellung und Auslegung der Wählerlisten. Nach
°* Damit ist der in den sonstigen deutschen Verfassungen und in der Reichsverfassung ent-
7 — daß die Wahlprüfung grundsätzlich den Landtagen bzw. dem Reichstag zusteht,
urchbrochen.
10 Die gesamten Entscheidungen des O.L.G. Kolmar (61 Fälle) find mit vollständiger Be-
ründung abgedruckt in der Els.I. Jur. Zeitschr. 37. Jahrg. S. 66 f. Eine übersicht üder die
rgebnisse der Rechtsprechung gibt Mock, D.J.Z. 1912 S. 305. Vgl. ferner Vogt in der Deutschen
Richterzeitung, 4. Jahrg. (1912) S. 311 f. u. S. 394. Vgl. auch Rehm, Wathlbeeinflussungen,
D.J.Z. 1912 S. 62; Simon, Das Verfahren in Wahlprüfungssachen vor den ordentlichen Gerichten,
ebenda S. 197; Liedke, Ueweiserhebungen bei Anfechtung von Parlamentswahlen, Jur. Woch.
1909 S. 40 f.; Delius, Erledigung von Ersuchen um Beweiserhebungen zwecks Prüfung der Legi-
timation der gewählten Parlamentsmitglieder, Pr. Verw. Bl. 1909 S. 349.
· 11 Ein zeitlich unbeschränktes Recht der Ergänzung kann im Hinblick auf den regelmäßig bald
eintretenden Beginn der Landtagstätigkeit nicht gewährt werden.
12 Die bloß verspätete Verpflichtung an Eidesstatt hält das O.L.G. jedoch für unwesentlich.