8 34 Geschichtlicher Uberblick. 133
Titel „Straßburger Zeitung und Amtliche Nachrichten für das Generalgouvernement Elsaß“ er-
schienen. Die Verordnungen des Generalgouverneurs in dieser Epoche werden der herrschenden An-
sicht nach als Willensausflüsse der an Stelle der suspendierten französischen Staatsgewalt ge-
tretenen völkerrechtlichen Mack tbefugnisse des Führers der verbündeten Heere erachtet. Sie find auf
gleiche Stufe zu stellen wie die vor der Okkupation erlassenen französischen Gesetze und stellen sonach
wirkliches Landesrecht dar.
Mit dem 2. März 1871 (dem Tag des Inkrafttretens des Präliminarfriedens von Versailles)
trat E.-L. völkerrechtlich unter die Staatsgewalt des Deutschen Reiches. Außerlich trat keine
Anderung ein, der Generalgouverneur übte nach wie vor seine Befugnisse aus, aber auf anderer
Grundlage, nicht mehr als Beauftragter des Bundesfeldherrn, sondern der verbündeten Regierungen.
Die Verordnungen des Generalgouverneurs find nunmehr Willensakte der Reichsgewalt (Reichsgesetze)
und nicht mehr Ausfluß der an die Stelle der suspendierten französischen Staatsgewalt getretenen
Gewalt des Eroberers. Es datiert also von diesem Moment an die Kontinnität der deutschen Gesetz-
gebung in E.L.
Ein dritter Abschnitt beginnt mit dem 9. Juni 1871, dem Tag der staatsrechtlichen Ver-
einigung E.-L. mit dem Deutschen Reich. Nach § 3 des zitierten Gesetzes ist dem Kaiser, der die
Staatsgewalt in E.-L. ausübt, auch die Gesetzgebung übertragen; er ist hierbei bis zum Ein-
tritt der Wirksamkeit der Reichsverfassung bei Ausübung der Gesetzgebung an die Zustimmung
des Bundesrats und bei der Aufnahme von Anleihen oder übernahme von Garantien für Elsaß
und Lothringen, durch welche irgendeine Belastung des Reiches herbeigeführt wird, auch an die Zu-
stimmung des Reichstages gebunden. Die Gesetze ergingen also in Form von keiserlichen Ver-
ordnungen, wobei dem Kaiser gewisse Schranken gesetzt waren. Der Kaiser erteilte aber die Sank-
tion der Gesetze, die Aus führung lag ihm ebenfalls ob. Was die Verkündung der Gesetze anlangt,
so konnte mangels Einführung des Art. 2 R.V. eine solche durch das Reichsgesetzblatt nicht erfolgen;
mithin galten noch die alten Vorschriften der Gesetze vom 9. September und 19. Oktober 1870.
Erst durch das Gesetz vom 3. Juli 1871 wucde bestimmt, daß die für E.-L. erlassenen Gesetze und
Kaiserlichen Verordnungen ihre verbindliche Kraft durch ihre Verkündung in einem Gesetzblatt er-
halten, welches den Titel „Gesetzblatt für Elsaß-Lothringen“ führt und vom Reichskanzleramt
herausgegeben wird. Dem Reiche war es natürlich unbenommen, auch Reichsgesetze für E.-L. zu er-
lassen; dieselben mußten aber dann noch durch einen besonderen Gesetzgebungsakt in E.-L. eingeführt
werden. Die Publikation im Reichsgesetzblatt war jedenfalls wirkungslos. Um nun den zweimaligen
Erlaß dieser Gesetze zu vermeiden, wurde in die meisten Einführungsgesetze die Bestimmung eingefügt:
„Die Wirksamkeit des anliegenden Reichsgesetzes wird auf Elsaß-Lothringen ausgedehnt.“ Versucht
man die Gesetze dieser Periode zu charakterisieren, so kommt man zu dem Ergebnis, daß es sich nicht
um Landesgesetze, sondern um Reichsgesetze, allerdings besonderer Art, handelt, nämlich um solche, die
nicht auf der Grundlage der R.V. entstehen, es waren vielmehr Provinzialgesetze des Reiches (Laband
4. A. II, 223)2. Die neben den Gesetzen erforderlich werdenden Ausführungsverordnungen wurden durch
den Kaiser, den Reichskanzler oder gewisse andere Verwaltungsorgane erlassen 7.
Die vierte Periode beginnt mit dem Tage des Inkrafttretens der R.V. in E.-L. (1. Jannar
1874)3. Damit war die Gesetzgebung unmittelbare Reichssache geworden. Der Kaiser hatte nunmehr
bloß noch das Recht die Gesetze auszufertigen und zu verkünden. Die Kompetenz des Reiches um-
faßte im Gegensatz zu derjenigen in den deutschen Bundesstaaten alle staatlichen Angelegenheiten,
die überhaupt zum Gegenstande der Gesetzgebung gemacht werden können. Auch die Gesetze dieser
Periode sind Reichsgesetze, wie sich schon daraus ergibt, daß die Sanktion vom Bundesrat" aus-
geht. Die Verkündung geschah allerdings im Gesetzblatt für E.-L., ein Verfahren, das im Hinblick
auf das Fehlen einer diesbezüglichen besonderen Bestimmung nicht ganz einwandfrei erscheint .
Die im Reichsland sich immer mehr füblbar machenden Dezentralisationsbestrebungen ver-
dichteten sich schließlich im Gesetze vom 2. Mai 1877, durch welches eine „besondere Landesgesetz-
gebung für E-L.“ eingeführt wurde. Damit beginnt die fünfte Periode. Landesgesetze, d. h. Ge-
setze in Landesangelegenheiten, können vom Kaiser mit Zustimmung des Bundesrats und des neu-
* Rosenberg (Annal. 1899 S. 382) stellt auf, diese Reichsgesetze hätten nur die Kraft von
Landesgesetzen und könnten daher auch im Wege der Landesgesetzgebung abgeändert werden. Diese
Meinung wird damit begründet, daß zwischen die Landesstaatsgewalt des Kaisers in E.-L. und die
Reichsgewalt nicht die Bestimmung des Art. 78 Abs. 2 R.V. treunend dazwischen geschoben sei, da
ja die Delegation der Staatsgewalt in E.-L. auf den Kaiser, so wie sie gegeben, auch wieder ge-
nommen werden könne (Leoni S. 267). Indessen is dieß Ansicht unrichtig; das Reich ist der
alleinige Gesetzeeber, es hat nur dem Kaiser die. Ausübung der Gesetzgebung in widerruflicher Weise
übertragen. (Meyer-Anschütz S. 613.)
5 Das Vereinigungsgesetz hatte bestimmt, daß die R. V. in E.-L. mit dem 1. Jan. 1873 in
Kraft treten solle. Durch Gesetz v. 25. Juni 1873 wurde aber der 1. Jan. 1874 als Tag des In-
krafttretens der R.V. bestimmt.
4 Abw. Ans. nur Zorn S. 503. 5 Vgl. Laband II/ § 69 S. 253.