136 Zauweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. 8 35
Parlaments durch Neuwahl andere geworden sind 5. Solange die Verkündigung des
Gesetzes nicht erfolgt ist, ist auch die Zurücknahme der Sanktion zulässig é. Die
Sanktionsformel lautet: „Wir Wilhelm II. deutscher Kaiser, König von Preußen usw.
verorbnen im Namen des Reichs für Elsaß-Lothringen nach erfolgter Zustimmung des
andtags . ..“
Vollzogen wird die Sanktion durch die dem Kaiser obliegende Ausfertigung,
durch welche das verfassungsmäßige Zustandekommen des Gesetzes festgestellt wird.
Sanktion und Ausfertigung fallen nunmehr nach Ausscheidung des Bundesrats aus
der Landesgesetzgebung in einen Akt zusammen 7. Durch die Gegenzeichnung, die der
Statthalter bzw. sein Stellvertreter vornimmt, übernimmt er die Verantwortung dafür,
daß der dem Kaiser zur Ausfertigung vorgelegte Gesetzestert mit dem vom Landtag
beschlossenen wörtlich und inhaltlich übereinstimmt.
Der Kaiser ordnet sodann die Verkündigung der Gesetze an; dieselbe erfolgt
im Gesetzblatt für Elsaß-Lothringen, das vom Ministerium in Straßburg herausgegeben
wird. Mit der Verkündigung, die eine wesentliche Voraussetzung für die Wirksamkeit
des Gesetzes bedeutet, ist das Gesetz zum rechtskräftigen Staatsakt geworden. Die
verbindliche Kraft des Geseges beginnt jedoch, sofern es nicht selbst den Moment des
Inkrafttretens besonders bestimmt, erst mit dem vierzehnten Tage nach dem Ablauf
desjenigen Tages, an dem das betreffende Stück des Gesetzblattes in Straßburg aus-
gegeben worden ist (§ 5 Abs. 2 S. 2)8.
II. Der § 5 V. G. sieht den daselbst vorgesehenen Gesetzgebungsgang nur vor
für Landesgesetze, d. h. für diejenigen Angelegenheiten, die im übrigen Reichsgebiet der
Gesetzgebung der Bundesstaaten vorbehalten sind. Es sind also ausgenommen diejenigen
Angelegenheiten, die zur Kompetenz des Reiches gehören, und die bereits eine reichs-
rechtliche Regelung erfahren haben. In das Gebiet der ausschließlichen aständigleit
des Reiches, wozu auch die elsaß-lothringische Verfassung gehört, darf die Landesgesetz-
gebung nicht eingreifen. Im übrigen umfaßt ihre Kompetenz das ganze geltende öffent-
liche Landesrecht, insbesondere die Verwaltungsorganisation des Landes, ferner auch
die in den Ausführungs= und Einführungsgesetzen zu den Reichsjustizgesetzen teils nieder-
gelegten, teils vorbehaltenen Rechtsmaterien. Einerlei ist hierbei, ob es sich um Gesetze
auf Grund des § 1 (Reichsgesetzgebung) oder des § 2 I des Gesetzes vom 2. Mai
1877 handelt. Die nach letzterem Paragraphen erlassenen Gesetze haben sonach ihre
bevorzugte Stellung eingebüßt. Allein maßgeblich ist demnach nur noch, ob das Gesetz
seinem Inhalte nach eine Landesangelegenheit betrifft ?.
Der allgemeine Grundsatz des Art. 2 R.V., daß das Reichsrecht den Landes-
gesetzen vorgeht, und der darauf beruht, daß die Sanktion der Reichsgesetze von der
höheren (souveränen) Gewalt ausgeht (Laband II S. 115), gilt natürlich auch den
auf Grund des § 5 V. G. erlassenen Gesetzen gegenüber. Die Landesgesetzgebung darf
nicht in das Gebiet der Reichsgesetzgebung, aber auch umgekehrt diese nicht in das Gebiet
jener eingreifen, wenn nicht das Reich allgemein nach § 78 I R.V. seine Kompetenz
durch ein Reichsgesetz erweitert, was nicht ausdrücklich durch ein verfassungsänderndes
· 5 And. Ans. Scheibke, Die Frist für Sanktion und Publikation. Daß nach Ablauf der
Sitzungsperiode die Sanktion noch zulässig ist, dürfte wohl keinem Zweifel unterliegen; ob auch nach
Ablauf der Legislaturperiode, ist zweifelhaft.
4" Laband II § 55 S. 27 N. 1; G. Meyer-Anschütz S. 569.
! Das richterliche Prüfungsrecht erstreckt sich auf die Frage, ob sich das Gesetz im Rahmen
der Landesgesetzgebung gehalten hat. Vgl. ierzu auch Kahn in Annal. 1907 S. 481 f., 597 f.
Entsprechend dem § 22 Ges. v. 4. Juli 1879 u. Art. 2 S. 3 R. V. — Der Tag der Aus-
gabe wird auf jedem Stück des Gesetzblattes vermerkt. ·
* Inhaltlich enthalten z. B. keine Landesangelegenheiten diejenigen Bundes= bzw. Reichs-
gesete die vor dem Inkrafttreten der R.V. (1. Jan. 1874) durch Kais. Verordnung auf E.-L. aus-
gedehnt wurden, z. B. das Gesetz über die Freizügigkeit v. 1. Nov. 1867; über die Erwerbung und
den Verlust der Bundes= und Staatsangehörigkeit v. 1. Juni 1870; das Aege v. 28. Okt. 1871
usw. (Vgl. Heim S. 47.) Erst recht ist der Landesgesetzgebung entzogen das Gesetz, betr. die Einf.
der R.V. in E.-L., v. 25. Juni 1873 und schließlich auch das Gesetz v. 30. Mai 1892 über die Vor-
bereitung des Kriegszustandes in E.-L.