140 Zweiter Teil. Die Verfassung Elsaß-Lothringens und die Behördenorganisation. & 30
verordnungenz; jene sind Gesetze im materiellen Sinne, denn fie enthalten Rechts-
normen; diese gehören in das Gebiet der reinen Verwaltungstätigkeit .
Von den Gesetzen im formellen Sinne unterscheiden sich die Rechtsverordnungen
dadurch, daß bei ihrem Erlaß die Volksvertretung nicht mitwirkt.
II. Unter den Rechtsverordnungen unterscheidet man solche mit interimisti-
scher Gesetzeskraft und Ausführungsverordnungen. Die ersteren sind
dazu bestimmt, bestehende Gesetzesvorschriften abzuändern oder aufzuheben, die letzteren
dagegen sollen innerhalb der durch bestehende Gesetze aufgestellten Rechtsnormen besondere
Einzelbestimmungen treffen, die man wegen ihrer Geringfügigkeit und wegen der leichten
Veränderlichkeit der einschlägigen tatsächlichen Verhältnisse sowie wegen der in einzelnen
Landesteilen bestehenden örtlichen Unterschiede lieber der beweglicheren Form der Rechts-
verordnung überläßt. Die Rechtsverordnungen mit interimistischer Gesetzeskraft dagegen
(Notstandsverordnungen) sollen in Dringlichkeitsfällen bei nicht versammeltem Landtag
die Möglichkeit gewähren, die Staatsinteressen nach Tunlichkeit zu wahren; sie stehen
u der auflösenden Bedingung, daß das demnächst zusammentretende Parlament sie
genehmigt.
III. Rechtsverordnungen kann nur dasjenige staatliche Organ erlassen, das hierzu
gesetzlich delegiert ist. Die Delegation muß sowohl das Subjekt bestimmen, von welchem
die Verordnung erlassen werden soll, als auch das Objekt, worauf sie sich zu erstrecken
hat. Die gesetzliche Ermächtigung kann eine generelle oder eine spezielle sein, je nach-
dem, welche Behörde mit dem Erlauß der Verordnung betraut wird.
Die Ausfertigung der Verordnung steht nur demjenigen zu, der sie zu erlassen
hat. Die Verordnung muß ferner verkündet werden. Die Ansicht, daß es dem Ver-
ordnungsberechtigten überlassen bleiben muß, zu bestimmen, wo und in welcher
Form die Verkündigung stattzufinden hat 5, ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig.
In der Regel treffen gesetzliche Vorschriften hier besondere Bestimmungen. Bestritten
ist die Frage, ob die Publikationsformel alles enthalten müsse, was zur Beurteilung
Den begrifflichen Gegensatz zwischen Rechtsverordnungen und Verwaltungsverordnungen
findet Laband (4 A II S. 168) darin, daß erstere Beziehungen zwischen Willensträgern ordnen,
während letztere Verhaltungsmaßregeln seien, die sich die Verwaltungen selbst geben. Der hiergegen
seitens Affolter (Rechtsvorschriften und Verwaltungsvorschriften, Off. Arch. 27 S. 367) geltend
gemachte Einwand, daß Verwaltungsvorschriften ebenfalls Beziehungen zwischen Willensträgern
ordnen, da sie Obliegenheiten zwischen unteren und oberen Verwaltungsbehörden begründen, ist
nicht durchschlagend. Die seitens des Vorgesetzten an den Untergebenen erteilte Dienstanweisung
läßt sich nicht mit den der Allgemeinheit gegenüber Gültigkeit branspenchenden Rechtsverordnungen ver-
gleichen. Bei Berletzungen dieser, aich dagegen jener, kann die Hilfe der Gerichte in Anspruch
##enommen werden. Im gewissem Sinne hat Affolter allerdings Recht, wenn er den Gegensatz zwischen
echts= und Verwaltung verordnung in dem Begriff des Rechtlichen und des Technischen findet:
„Den materiellen Gegensatz zwischen Rechtsvorschrift und Verwaltungsvorschrift kann man als dahin
fassen, daß, während erstere ein rechtliches Verhalten fordert, letztere die Technik in der Ausführung
einer rechtlich geforderten Handlung bestimmt.“ Nach Laband (a. a. O.) richten sich die Ver-
waltungsvorschriften auf Vornahme von Rechtsgeschäften und technischen Handlungen der Ver-
waltungsbehörden: im französisch-belgischen Recht spricht man hier von reglements administratifs
(bveal. Block, Dictionnaire de I’administration vo lois et reglement.)
Arndt (Verwaltungsarchiv 13 (1905] S. 219 u. S. 421: „Das Reichsgericht und die Begriffe
Gesetz und Verwaltungsvorschrift) versucht im Anschluß an seine früheren Ausführungen (Komm. z.
preuß, Verf.Urk. S. 349 und im „Recht“ 1904 Nr. 13) und im Hinblick auf die Rechtsprechung des
eichsgerichts (N.G.E. [Civ.] 48 S. 84) den Nachweis zu erbringen, daß Rechtsnormen und
Verwaltungsvorschriften keinen Gegensatz bilden, da auch bloße Anweisungen an Verwaltungsbehörden
Rechtsvorschriften enthalten können; er findet den Unterschied zwischen beiden nur darin, daß die
Gesetze Aussprüche der höchsten legislativen Gewalt, die Verwaltungevorschriften Aussprüche der
bolehenden Gewalt seien. Die unklaren Ausführungen Arndts haben eine energische Widerlegung
erfahren durch Hubrich, Verwaltungsarchiv Bd. 13 (1905) S. 441.
5 So R. G. E. (Civ.) 40 S. 76; 48 S. 84. And. Ans. Arndt, Uber Art und Formel der
Publikation von Verordnunzen. D.J.3z. 1907 S. 257.
So ist für die Verkündigung Kaiserlicher Verordnungen die Publikation im Gesetzblatt
für E.-L. ausdrücklich vorgesehen (Ges. v. 3. Juli 1871, G. Bl. 2). Dasselbe hat aber auch in ge-
wissem Grade für die Verordnungen des Statthalters und des Ministeriums zu gelten. (Laband
II S. 85 f.; Bruck I S. 245.) Für die übrigen Behörden (Bezirkspräsidenten, Polizeidirektoren)
benügt, auch eine andere Art der Bekanntmachung, z. B. im Zentral= und Bezirksamtsblatt oder
in Zeitungen.